Die Wahrnehmung über das Ausmaß schulischer Gewalt wird weitgehend von der Medienberichterstattung und der öffentlichen Diskussion bestimmt, wobei brutale Einzelfälle oft zu Tendenzen stilisiert werden. Während die Berichterstattung und die öffentliche Wahrnehmung für die letzten Jahre eine starke Zunahme von Gewalt an Schulen unterstellen, wird diese Sichtweise von wissenschaftlichen Ergebnissen nicht gestützt. Dies trifft für die amerikanische Diskussion ebenso zu wie für die deutsche.
Für Deutschland gibt es keine flächendeckenden Untersuchungen zur Gewalt an Schulen. Es gibt jedoch eine Vielzahl von regionalen Arbeiten. Insbesondere fehlen Längsschnittuntersuchungen, um Aussagen über die Entwicklung von Gewalt an Schulen treffen zu können. Auch im internationalen Bereich sind – mit Ausnahme der USA – keine belastbaren Daten über Gewalt an Schulen vorhanden. Erstaunlicherweise klammert der Weltreport über Gewalt und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (2002) den Bereich Schule komplett aus.
Die wesentlichen Ergebnisse empirischer Gewaltstudien für Deutschland, die im Kern wohl auf die meisten Industrieländer übertragbar sein dürften, können stichwortartig wie folgt zusammengefasst werden (Baier/Pfeiffer 2009; Bundesverband der Unfallkassen 2005/2008; Klewin 2006, S. 16 ff.; Lösel/Bliesener 2003; Pröhl 2006), wobei zu beachten ist, dass die Situation in einzelnen Schulen vor Ort von diesen statistischen Durchschnitts-Aussagen auch erheblich abweichen können.
Formen der Gewalt
- Die häufigste Form der Gewalt an Schulen ist die verbale Gewalt. Schulische Gewalt ist überwiegend geprägt durch leichte Formen der physischen und verbalen Aggression.
- Schwerwiegende Fälle von Gewalthandlungen wie Raub, Erpressung, Bedrohung/Angriff mit Waffen, physische Gewalt mit Verletzungsfolge oder massive sexuelle Attacken kommen in Schulen – trotz anderslautender Presseberichte – relativ selten vor und es sind nur wenige Schüler daran beteiligt.
- Leichtere physische Gewalthandlungen wie Schlagen oder Treten werden selten bis manchmal ausgeübt.
- Vandalismus tritt nach Ergebnissen der meisten Studien etwas weniger häufig als „leichte“ Prügeleien auf.
- über das Bullying, für das u.a. die Dauerhaftigkeit von physischen oder psychischem Gewaltverhalten entscheidend ist (Klevin 2006, S. 17) liegen für Deutschland nur wenige Ergebnisse vor.
- Spaßkämpfe und verbale Gewalt werden von der Mehrheit der Schüler nicht als Gewalt eingestuft.
Importierte oder selbst erzeugte Gewalt?
Obwohl Lehrkräfte gerne darauf hinweisen, dass Schülergewalt vor allem von außen käme, zeigen Untersuchungen (Tillmann u.a. 1999, S. 300), dass es zwar erhebliche außerschulische Einflüsse (Familie, Clique, Gesellschaft) gib, dass aber auch auch erkennbar deutlich innerschulische Faktoren festzustellen sind (Lernkultur, Sozialklima), die Gewalt provozieren.
Häufigkeit und Brutalisierung
- Fast 90.000 Unfälle pro Jahr resultieren an allgemeinbildenden Schulen aus dem aggressiven Verhalten von Schülern, stellt der Bundesverband der Unfallkassen (2008) fest.
- Es liegen keine empirischen Befunde vor, die auf einen generellen Anstieg der Gewalt an Schulen hinweisen. Der Bundesverband der Unfallkassen (2005, 2008) in Deutschland hat das gewaltverursachte Verletzungsgeschehen an Schulen für den Zeitraum 1993-2003 und in einer neueren Studie den Zeitraum von 1995- 2007 untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass langfristige Zeitreihenbeobachtungen zur physischen Gewalt an Schulen bundesweit einen Rückgang physischer schulischer Gewalt zeigen. Auch eine zunehmende Brutalisierung sei nicht zu erkennen.
- Bei allen Gewaltformen lässt sich die Steigerungsthese (dass Gewalt immer zunehmen würde) nicht belegen.
- über alle Gewaltformen hinweg ist die Gefahr, mehrfach Opfer zu werden, sowohl innerhalb der Schule als auch auf dem Schulweg gering.
- Die bislang vorliegenden Längsschnittuntersuchungen in Deutsch- land liefern keine einheitliche Aussage hinsichtlich des Gewaltanstiegs an Schulen. Zwar sind laut vieler Studien bestimmte Gewaltformen leicht angestiegen, aber unter Berücksichtigung der erhöhten Sensibilisierung der Befragten und des erweiterten Bedeutungsgehalts des Gewaltbegriffes (Radiergummiwegnahme = Raub) ist deren Aussagekraft bedenklich. Offensichtlich hat weniger die Gewalt an Schulen zugenommen als vielmehr die Sensibilität gegenüber diesem Problem.
- Untersuchungen weisen darauf hin, dass ein allgemeiner Gewaltanstieg nicht stattgefunden habe, sondern sogar ein leichter Rückgang der Gewalt festzustellen sei. Bei jüngeren Schülern (10-13-Jährige) ist jedoch ein Anstieg bei der physischen und verbalen Gewalt zu verzeichnen (Bundesverband der Unfallkassen 2005, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 2009).
- Die Frage nach einer Zunahme der Brutalität der tätlichen Auseinandersetzungen lässt sich – so der Bundesverband der Unfallkassen – anhand der verfügbaren Datenbasis im Grund genommen nicht beantworten. Nimmt man Frakturen als Maßstab für die Schwere von aggressionsverursachten physischen Verletzungen, da sie gewisse Rückschlüsse auf die Heftigkeit der jeweils einwirkenden Gewalt zulassen, so sei in keiner der untersuchten Schularten eine zunehmende Brutalisierung erkennbar.
Unaufhaltsame Zunahme? Die Annahme einer offensichtlich unaufhaltsamen Zunahme der Gewalt an unseren Schulen gehört zu den Wahrnehmungen von Jugendkriminalität und Jugendgewalt. Gestützt durch Aufsehen erregende Einzelfälle spektakulärer Gewalttaten wird von einer zunehmenden Gewalt durch Schüler am „Tatort Schule“ ausgegangen.
Auch diese Wahrnehmung widerspricht jedoch den vorliegenden Befunden: Zunehmende physische Gewalt an Schulen lässt sich weder mit kriminalstatistischen oder sonstigen statistischen Daten belegen noch durch wiederholt durchgeführte Befragungen zum Dunkelfeld. (...) Entgegen der Wahrnehmung einer „gestiegenen Gewalt an Schulen“ weisen alle empirischen Befunde darauf hin, dass es in den letzten Jahren nicht zu einer allgemeinen Zunahme der körperlichen Gewalt und/oder einer zunehmenden Brutalisierung gekommen ist. Im Gegenteil: Trotz einer zunehmenden Sensibilisierung gegenüber schulischer Gewalt und einer gestiegenen Anzeigebereitschaft sind die Vorfallszahlen eher rückläufig.Wiebke Steffen: Jugendkriminalität und ihre Verhinderung zwischen Wahrnehmung und empirischen Befunden. Gutachten zum 12. Deutschen Präventionstag am 18. und 19. Juni 2007 in Wiesbaden. Wiesbaden 2007, S. 202.
Jungen und Mädchen
- Mit Ausnahme der verbalen Gewalt ist Gewalt von Schülern deutlich eine Domäne männlicher Schüler. Mädchen zeigen weniger aggressives Verhalten und werden seltener Opfer von Gewalt.
- Jungen sind sowohl häufiger Täter als auch Opfer von Gewalt (mit Ausnahme von sexueller Gewalt). Die Unterschiede werden umso kleiner (insbesondere bei psychischer Gewalt), je leichter die Aggressionsform ist.
- Es gibt jedoch eine kleine Gruppe von Mädchen, die ebenso stark Gewalt anwendet wie Jungen.
- Bei den Angaben zu Gewalt gegen Sachen zeigten sich an Hauptschulen und Gymnasien keine Unterschiede mehr zwischen den Jungen und Mädchen der Altersgruppe 10-13 Jahren
- Mädchen haben häufiger Angst vor Gewalt an Schulen als Jungen. Das Geschlecht hat einen Einfluss auf die Begegnung und das Erleben von Gewalt sowie auf die Wahrnehmung.
- Sexuelle Gewalt ist die einzige Form von Gewalt, bei der Mädchen deutlich häufiger Opfer von Gewalt sind als Jungen.
Eine Dramatisierung Die Berichterstattung über „Schauplätze“ von Gewalt, wie die Medien sie seit Jahren beispielsweise in Schulen lokalisieren, stellt eine Dramatisierung dar, die dann anlässlich vereinzelter Amoktaten gewissermaßen zum Glauben an ein Naturgesetz der sich stetig verschlimmernden Gewalt beitragen. Medienpräsente Forscher beteiligen sich nicht selten an solcher Dramatisierung, wenn auch die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchungen solche apokalyptischen Prognosen selten rechtfertigen. Seriöse Gewaltforschung, wie sie beispielsweise in der Langzeitstudie über Gewalt an bayrischen Schulen vorgelegt wurde, führt zum Ergebnis, dass ernst zu nehmende Gewalttätigkeit stagniert oder manchmal sogar abnimmt. ähnliches zeigen mitunter auch sorgfältige Analysen der Entwicklung von Jugendkriminalität, mitunter auch der Jugendgewalt, die nicht immer „stetig ansteigt“. Die Schule hat viele Probleme, aber das Gewaltproblem an Schulen muss im Rahmen der allgemeinen Neuorientierung auf einen besseren und sozialeren Unterricht mit aufgegriffen werden.
Joachim Kersten: Jugendgewalt und Gesellschaft.In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44 /2002. www.bpb.de/publikationen/ 41XNIY,1,0,Jugendgewalt_ und_Gesellschaft.html#art1
Alter
Aggressive Auseinandersetzungen sind in der Altersgruppe der 13-16-Jährigen am häufigsten. Dies zeigt, dass Gewaltphänomene auch in der Schule verstärkt im Kontext der Pubertät auftreten.
Schulformen
- Gewalt an Schulen nimmt tendenziell mit steigendem Bildungsniveau ab.
- Die häufigste physische Gewalt wird in Hauptschulen und Förderschulen ausgeübt. Gymnasien sind am wenigsten belastet. Bei psychischer Gewalt verringert sich der Unterschied. Dabei ist zu beachten, dass zwischen den Schulen einzelner Schulformen erhebliche Unterschiede liegen können. Ebenso unterscheiden sich einzelne Klassen innerhalb einer Schule erheblich.
Opfer
- Die Opfer (jeglicher Form) von Gewalt sind am wenigsten beliebt bzw. in den Klassenverband integriert. Opfer haben kleinere oder keine Freundschaftsnetzwerke, gehören zu den Außenseitern und verfügen über ein geringeres Selbstwertgefühl als unbeteiligte Schülerinnen und Schüler.
Täter und Opfer
- Täter- und Opferstatus hängen relativ eng miteinander zusammen. Schüler, die überproportional häufig den Gewalthandlungen ihrer Mitschüler ausgesetzt sind, üben auch überproportional oft selbst Gewalt aus. Andererseits sind Täter mehrheitlich zugleich auch Opfer von Gewalt.
Deutsche und ausländische Schüler
- Zwischen ausländischen und deutschen Schülern lassen sich hinsichtlich der Ausübung gewalttätiger Handlungen an Schulen keine signifikanten Unterschiede feststellen. Das Stereotyp der generell aggressiveren und delinquenteren ausländischen Jugendlichen kann nicht bestätigt werden.
Mädchen Mädchen hänseln, hetzen und beleidigen nicht nur ihre Geschlechtsgenossinnen, sondern wenden diese Form der Gewalt auch gegen Jungen an. Aber sie äußern Angst davor, körperlich angegriffen zu werden, sind andererseits aber auch nicht selten dabei, Streitigkeiten zwischen Jungen durch Bemerkungen und Sticheleien zu schüren und anzuheizen. Auch spielen sie manchmal bei körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Jungen eine Rolle im Hintergrund, entweder bewundernd zuschauend oder sich selbst geschmeichelt als „Subjekt“ des Streits sehend.
Klaus Hurrelmann/Heidrun Bründel: Gewalt an Schulen. Pädagogische Antworten auf eine soziale Krise. Weinheim und Basel 2007, S. 97.
Schüler und Lehrer
- Ca. ein Viertel der Schülerinnen und Schüler berichten von einer Lehrkraft schon einmal lächerlich gemacht oder gemein behandelt worden zu sein. 2,5 % Prozent sagen: „Eine Lehrkraft hat mich schon geschlagen“ (Baier/Pfeiffer 2009, S. 57).
- Lehrkräfte schätzen Raufereien generell als gravierender ein als Schülerinnen und Schüler, wobei vor allem jüngere Lehrkräfte mehr Schülergewalt wahrnehmen (vgl. Lösel 2003, S. 4).
- Je eher Jugendliche der Meinung sind, dass Lehrkräfte an ihrer Schule bei Gewaltvorkommnissen eingreifen, umso eher unterlassen sie es, selbst Gewalt einzusetzen. (vgl. Baier 2008, S. 66).
- Schulen, an denen Lehrer frühzeitig einschreiten, sind gewaltärmer.
Gewalttätiger Kern
- Häufige Gewaltanwendung geht von einem kleinen, gewaltaktiven Kern aus. Je gravierender die Gewalthandlungen werden, desto größer wird auch der Anteil zunächst gewaltpassiver Schüler.
Orte und Zeiten
- über die Hälfte der Verletzungen finden während der Pausen, ein Fünftel während des Sportunterrichts (und hiervon knapp die Hälfte während des Fußballspiels) statt. Toiletten sind neben den Pausenhöfen und Schulfluren die Orte, an denen Schülerinnen und Schüler die größten Unsicherheitsgefühle haben.
Zusammenhänge
- Das Problem der „Gewalt an Schulen“ darf nicht isoliert gesehen werden. Es gibt hohe Korrelationen zwischen dem Schul-Bullying und allgemein delinquentem und dissozialem Verhalten.
- Massives Schulschwänzen steht im engen Zusammenhang mit Delinquenz. Die Täterraten selbstberichteter Delinquenz sind in allen Deliktsbereichen bei massiven Schulschwänzern höher. Je stärker die Belastung in familiärer wie auch sozioökonomischer Hinsicht ist, desto häufiger das Schulschwänzen. Das Schulschwänzen kann somit als Indiz für dahinter liegende Problembelastungen gesehen werden (vgl. Wetzels 2007).
- Die Zahl der delinquenten Freunde hat einen starken Einfluss auf eigenes delinquentes Verhalten (vgl. Baier/Pfeiffer 2009, S. 81).
Rechtfertigungsstrategien für Gewalt Erwartungsgemäß genießt die Selbstverteidigung aus Sicht der Schüler die mit weitem Abstand höchste Legitimation für den Einsatz körperlicher Gewalt. Fast neun von zehn Schülern der Sekundarstufen I und II können sich vorstellen, andere zu schlagen oder zu treten, wenn sie selbst angegriffen werden. Eine prinzipielle Ablehnung von Gewalt vertritt damit nur eine kleine Minderheit der Schüler. Verglichen mit der Selbstverteidigung haben alle anderen angeführten Anlässe eine deutlich geringere Akzeptanz. Auch ist mit Ausnahme dieses einen Gewaltmotivs festzustellen, dass die älteren Schüler der Sekundarstufe II bei den anderen Motiven deutlich seltener Gewaltbereitschaft bekunden als die jüngeren Schüler, wobei die Rangfolge allerdings nahezu identisch ist.
Als wichtigste Gewaltmotive nach der Selbstverteidigung folgen die Motive Rache, Beleidigung und „genervt“ werden.
Akademie für Arbeit und Politik an der Universität Bremen: Ergebnisse einer Bremer Schülerbefragung zum Thema Gewalterfahrungen und extremistische Deutungsmuster. Bremen 2003, S. 16.
Lehrergewalt
Körperliche und verbale Gewalthandlungen in der Schule bestehen nicht nur unter Schülern, sondern auch zwischen Lehrpersonal und Schülern. Grundsätzlich ist dabei von einem hierarchischen Verhältnis auszugehen, in dem das Lehrpersonal über sehr viel mehr Sanktionsmöglichkeiten gegen Schüler verfügt als dies umgekehrt der Fall ist. Körperliche Gewalt gegen Schüler ist Lehrern allerdings strengstens untersagt und kann gravierende disziplinarische Folgen haben. Wohl auch deshalb ist sie nur selten Gegenstand der Gewaltdebatte und wird in der Gewaltdebatte tabuisiert. Aufgrund von wechselseitigen Zusammenhängen zwischen Lehrer- und Schülerverhalten ist dies ein Defizit.
Verbale Gewalt durch Lehrer ist in Bremer Klassenräumen offensichtlich Normalität. So geben jeweils etwa ein Drittel der Befragten aus den Sekundarstufen I und II an, dass sie im vorangegangenen Schuljahr von Lehrern „mit Worten fertig gemacht“ wurden. Jeder Zwanzigste meint, dass ihm dies etwa monatlich widerfahre und weiteren fünf Prozent passiert eine Erniedrigung durch Lehrer gar in noch höherer Frequenz. Verbale Gewalt durch Lehrer gegen Schüler ist damit mindestens ebenso weit verbreitet wie verbale Gewalt unter Schülern.
Akademie für Arbeit und Politik an der Universität Bremen: Ergebnisse einer Bremer Schülerbefragung zum Thema Gewalterfahrungen und extremistische Deutungsmuster. Untersuchung im Auftrag des Bremer Senats. Projektleitung: Prof. Dr. Thomas Leithäuser. Projektbearbeitung Frank Meng. Bremen 2003, S. 19 f.
Für das Zusammenleben und das schulische Geschehen sind jedoch nicht so sehr die genauen Prozentsätze von Gewaltvorkommen entscheidend, sondern die Wahrnehmung und das Klima, das von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern mit Gewalt an Schulen verbunden wird. Und hier ist festzustellen, dass viele Schülerinnen und Lehrkräfte weniger Angst vor körperlichen übergriffen als vielmehr vor Beleidigungen, Beschimpfungen oder vor verbaler Aggression haben. Diese Angst beeinflusst das Lernklima äußerst negativ.
Gewalt durch die Schule
Die Ergebnisse der Bildungsforschung zeigen immer wieder neu, dass in Deutschland stärker als in anderen Ländern der Bildungserfolg von der sozioökonomischen Herkunft maßgeblich mitbestimmt wird. Dies hat eine starke Auslese der Kinder und Jugendlichen in höheren Schulen zur Folge. Schulische Auslese wird oft als Demütigung und Stigmatisierung erlebt. Schule als Instrument der Zuteilung von Lebenschancen produziert so durch Konkurrenz- und einseitige Leistungsorientierung in vielfältiger Weise auch Schulversager und Schulverweigerer, die oft ohne Abschluss die Schule verlassen oder ihr Lernpotenzial bei weitem nicht ausschöpfen können.
Zu beachten ist auch, dass die Institution Schule weithin einen starken Zwangscharakter aufweist und in vielfältiger Weise Macht ausübt. Von der Schulpflicht abgesehen ist es höchst problematisch, wenn in der Schule Schülerinnen und Schüler oder Eltern nur unzureichend mitbestimmen können. Die Unterrichtsorganisation mit ihren 45-Minuten-Einheiten, das lange „Stillsitzen-Müssen“ und der stark lehrerzentrierte Wortvortrag widersprechen allen lernspychologischen Erkenntnissen. Hinzu kommen oft die stoffliche überfrachtung und eine einseitige Notenorientierung. Eine Identifikation der Schülerinnen und Schüler mit „ihrer“ Schule ist so nur schwer zu erreichen. Sicherlich trifft diese Kritik nicht ausnahmslos alle Schulen.
Meinungen oder Tatsachen? Viele Untersuchungen befragten Lehrer und Schulleiter als sogenannte Experten nach ihrer Einschätzung zur Gewaltentwicklung.
(...) Bei der Darstellung der Ergebnisse zur Einschätzung der Gewaltentwicklung durch die Befragten ist (...) genau darauf zu achten, dass die Befunde als Meinungen gekennzeichnet und nicht als Tatsachen ausgegeben werden.
Tanja Pröhl: Gewalt an Schulen im Vergleich. Deutschland – USA. Tübinger Schriften und Materialien zur Kriminologie. Band 11. Tübingen 2006, S. 183 ff.