- Sexuelle Gewalt
Die Schädigung und Verletzung eines anderen durch erzwungene intime Körperkontakte oder andere sexuelle Handlungen (z.B. Vergewaltigung, Kindersex, Kinderprostitution). - Frauenfeindliche Gewalt
Tritt in Form von physischer, psychischer, verbaler oder sexueller Gewaltausübung auf. Frauen werden dabei als Individuum oder Gruppe diskriminiert und verletzt, z.B. durch die Vergewaltigung von Frauen im Krieg und/oder im Zivilleben; durch die Darstellung von Frauen in Medien als Lustobjekte.
- Fremdenfeindliche Gewalt
Wird als physische, psychische und verbale Aktion ausgeübt und dient der Schädigung und Verletzung eines anderen Menschen (oder einer Menschengruppe) aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit.
- Gewalt gegen Kinder
Physische oder psychische Gewalt durch Eltern oder Erziehungspersonen gegen Kinder. Kinder sind weltweit gesehen die Gruppe, die am stärksten unter physischer Gewalt (häuslicher Gewalt, aber auch Kriegsgewalt) leidet.
Kulturell legitimierte Gewalt
Willentliche Gewaltausübung und Gewalterfahrung sind in unserer Kultur überall präsent, etwa im Sport (Boxen, Ringen, Fechten), insbesondere bei sexuellen Sado-Maso-Praktiken oder in Selbstverstümmelungen wie beim Piercing. Die Kultur der Massenmedien schließlich trieft vor nichtinstrumenteller Gewalt. (...) Die Popularkultur heroisiert den gewaltsamen Täter. So sehr sie offiziell für Gewaltfreiheit eintritt, so sehr dementiert sie dies in ihren Bilder- und Tonwelten, die allabendlich in die Wohnstuben flimmern. Diese Gewalt dient keinem Zweck, der außerhalb von ihr läge. Ihre Devise ist vielmehr das reine intensive Erlebnis nach der Devise „It‘s better to burn out than to fade away“ (Neil Young). Die in sozialer Hinsicht „sinnlose“ Gewalt kann somit einen subjektiven Sinn in der Erlebnissteigerung und der Intensivierung von Selbsterfahrung besitzen.
Darüber hinaus gibt es aber auch Formen von Gewalt, die einen direkten instrumentellen Sinn haben und daher gewöhnlich sozial hoch bewertet werden. Dies gilt in erster Linie für die kriegerische Gewalt und zwar dann, wenn sie legitim und erfolgreich ausgeübt wird.
(...) Die Gesellschaften können der Gewalt nicht entkommen, sie können nur versuchen, ihr eine kulturell erträgliche Form zu geben.
Rolf Peter Sieferle: Vorwort. In: Ders./Helga Breuninger (Hrsg.): Kulturen der Gewalt. Frankfurt/M. 1998, S. 25 f., Auszüge.
- Jugendgewalt
Meint die von Jugendlichen ausgeübte Gewalt. Dem Phänomen der Jugendgewalt wird in der öffentlichkeit und den Medien die größte Aufmerksamkeit gewidmet.
- Gewalt in Medien
Meint die exzessive Gewaltdarstellung in den Medien (TV, Video, Computerspiele). Diskutiert werden hier (in der öffentlichkeit aber auch in den Fachwissenschaften oft unter jugendschützerischen Aspekten) die Gefahren, die für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mit dem ungezügelten Konsum von Medien verbunden sind.
Sechs Thematisierungsfallen
- Die Umdeutungsfalle
Gewalt wird personalisiert, pathologisiert oder biologisiert.
- Die Skandalisierungsfalle
Spektakuläres Gewaltvokabular dient der öffentlichen Aufmerksamkeit. - Die Inflationsfalle
Die Gewaltdiskussion wird derart ausgedehnt, dass der Eindruck allgegenwärtiger Gewalt entsteht.
- Die Moralisierungsfalle
Betroffenheitsrhetorik unterscheidet klar zwischen Gut und Böse und folgt einem einfachen „Täter-Opfer-Schema“. - Die Normalitätsfalle
Die Gewalt bestimmter Gruppen wird als natürlich begriffen und verharmlost.
- Die Reduktionsfalle Die vielschichtigen Gewaltphänomene werden durch einfache Erklärungen oder als Persönlichkeitsmerkmal beschrieben.
Wilhelm Heitmeyer/John Hagan (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiebaden 2002, S. 21.
Probleme und Fragen
Trotz aller Differenzierungen bleiben offene Fragen:
- Wo sollen die Grenzen der Gewaltdefinition gezogen werden?
- Wo fängt Gewalt an und wo hört sie auf? Was stabilisiert sie und was provoziert sie?
- Wie ist das Verhältnis von Gewalthandlung und Gewaltakzeptanz zu bestimmen? Wie ist die Duldung, Billigung, Propagierung und Stimulanz von Gewalt zu bewerten?
- Setzt Gewalt ein aktives Tun voraus oder kann auch eine unterlassene Handlung Gewalt darstellen?
- Wenn das Gewaltverständnis keineswegs wertfrei ist, wie und zu welchem Zweck finden dann Instrumentalisierungen statt?
- Ist die Androhung von Gewalt bereits eine Form von Gewalt?
- Darf man Gewalt androhen, um „schlimmere“ Gewalt zu vermeiden?
- (Wie) lässt sich Gewalt legitimieren oder ist sie immer (moralisch) verwerflich?
- Wie wirkt sich das Vorhandensein verschiedener Gewaltbegriffe bei verschiedenen Bevölkerungsteilen und verschiedenen Altersgruppen (z.B. Erwachsene, Kinder und Jugendliche) aus?
- Wie lässt sich erkennen, von welchem Gewaltverständnis, warum und mit welchen Konsequenzen ausgegangen wird?
- Welche psychischen, sozialen und gesellschaftlichen Funktionen erfüllt Gewalt?
- Wenn Gewalt als Sprache und Kommunikationsmittel verstanden wird, wie können dann ihre Botschaften entschlüsselt werden?
- Wie ist das Verhältnis von individueller, kollektiver und staatlicher Gewalt?
Sinnlose Gewalt: Wenn es nicht um pragmatische Interessen geht, zu deren Verfolgung Gewalt instrumentell eingesetzt wird, kann Gewaltausübung als lustbesetztes Streben nach Dominanz und Selbstaufwertung seitens des Täters verstanden werden. Diese Interaktion beruht vollständig darauf, dass das Opfer Schmerz und Angst empfindet und erniedrigt wird. Dieser Typus der nichtinstrumentellen Gewalt ist daher ein reines Nullsummenspiel: Die Lust des Täters steigt mit dem Schmerz des Opfers. Der Gewalttäter erfährt ein elementares Stück sozialer Anerkennung in der Erniedrigung seines Gegenüber. Hier wird die Gewalt zum Selbstzweck: Ihr Ziel liegt nicht in der Erreichung eines Zwecks, wozu Hindernisse und Widerstände ausgeräumt werden sollen, sondern in der Zufügung von Schmerz als solchem. Dies ist die reine und damit vollständig böse Gewalt. Der in sozialer Hinsicht „sinnlosen“ Gewalt kann ein subjektiver Sinn zuwachsen, der nicht auf Verallgemeinerungsfähigkeit zielt.
Rolf Peter Sieferle: Einleitung. In: Rolf Peter Sieferle/Helga Breuninger (Hrsg.): Kulturen der Gewalt. Frankfurt/M. 1998, S. 24.
Fazit
Der Gewaltbegriff ist nicht eindeutig und einfach fassbar. Definitionen von Gewalt sind immer auch interessengeleitet. Gewalt ist in dreifacher Weise kontextgebunden: historisch, geografisch und kulturell. Was an einem Ort und zu einer bestimmten Zeit als Gewalt bezeichnet und erlebt wird, gilt (wissenschaftlich betrachtet) nicht unbedingt für andere Zeiten und andere Orte. Gewalt ist kein einheitliches, singuläres Phänomen, sondern nur in der Vielfalt seiner Formen zu begreifen.
Dennoch benötigt Gewaltprävention einen Gewaltbegriff, der ein umfassendes Verständnis von Gewalt ermöglicht und die vielfältigen Formen und Ebenen von Gewalt einschließt. Der Rückgriff auf und die Aktzeptanz eines gemeinsamen Verständnisses von Gewalt erscheint für Gewaltprävention, die gesamtgesellschaftlich und inter national kooperieren und sich vernetzen will, unabdingbar. Die Konsequenz einer mangelnden Verständigung über den Bedeutungsgehalt von Gewalt ist, dass keine gemeinsamen Strategien gegen Gewalt entwickelt werden können, da bereits die Grundlage, nämlich eine detaillierte Datenerhebung über Gewaltvorkommen nicht möglich ist bzw. vorhandene Daten nicht verglichen werden können. Dies gilt auch für den Schulbereich und andere Organisationen.
Bestimmung einer gewalttätigen Interaktion
- Wer übt Gewalt aus?
(Frage nach dem/den Täter/n) - Was geschieht, wenn Gewalt ausgeübt wird?
(Frage nach den Tatbeständen und den Abläufen) - Wie wird Gewalt ausgeübt?
(Frage nach Art und Weise und den eingesetzten Mitteln, z.B. Waffen) - Wem gilt die Gewalt?
(Frage nach den Objekten einer Gewalthandlung, den Opfern) - Warum wird Gewalt ausgeübt?
(Frage nach den allgemeinen Ursachen und konkreten Gründen) - Wozu wird Gewalt ausgeübt?
(Frage nach Zielen, Absichten, Zwecken und möglichen Motiven) - Weshalb wird Gewalt ausgeübt?
(Frage nach den Rechtfertigungsmustern und Legitimationsstrategien)
Peter Imbusch: Der Gewaltbegriff. In: Wilhelm Heitmeyer/John Hagan (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden 2002, S. 34 ff.