Gewalt ist nicht nur in Zeiten von Krisen und des Umbruchs eine immer verfügbare Handlungsoption für Individuen und Gruppen ebenso wie für Regierungen und Staaten. Die Zahl der Opfer zeigt, dass das vergangene 20. Jahrhundert das gewalttätigste in der gesamten Geschichte der Menschheit war.
Gewalt ist ein komplexes Problem mit vielfältigen Wurzeln und Ursachen. Es gibt deshalb für Gewalt keine einfachen Erklärungen und Lösungen. Voraussetzung für gelingendes Zusammenleben ist eine hohe Verlässlichkeit, dass Gewalt weder in zwischenmenschlichen Beziehungen noch im gesellschaftlichen Zusammenleben einen Platz hat, sowie dass Konflikte gewaltfrei ausgetragen werden. Beides ist in unserer Gesellschaft und weltweit nur unzureichend realisiert.
Gewaltprävention arbeitet an den Grundlagen menschlichen Zusammenlebens. Sie darf sich nicht in einem „Gegen-Gewalt“ erschöpfen, sondern muss positive Handlungs- und Lebensperspektiven eröffnen, die Gewalt überflüssig machen.
Obwohl dieses Handbuch primär den Bereich der Erziehung und Bildung im Blick hat, weist es doch permanent auf die Notwendigkeit hin auch die institutionellen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse einzubeziehen. Denn Gewalt lässt sich am ehesten überwinden, wenn man gemeinsam, umfassend und auf einer gesicherten wissenschaftlichen Grundlage vorgeht.
Betrachtet man den schulischen Bereich, so ist grundlegende Voraussetzung für jegliches Lernen ein angstfreies Klima, verbunden mit gegenseitiger Akzeptanz, Respekt und Wohlbefinden. Die Qualität der sozialen Lernsituation entscheidet über die Möglichkeiten Offenheit und Bereitschaft für Lernen entwickeln zu können, also letztlich über den Lernerfolg. Sowohl die Konzepte der Reformpädagogik, also auch die Ergebnisse der Hirnforschung, unterstreichen dies eindrücklich.
Gewaltprävention ist deshalb nicht nur normativ begründet, sondern aus pädagogischen und lernpsychologischen Notwendigkeiten heraus unabdingbar. Sie wird – so verstanden – zu keinem Zusatzprogramm für engagierte Lehrerinnen und Lehrer, sondern zur Grundlage von Lehren und Lernen überhaupt.
Die vorliegenden Materialien knüpfen an wissenschaftliche Untersuchungen und Erkenntnisse über wirksame Gewaltprävention an und bereiten diese für die pädagogische Praxis auf. Dabei wird davon ausgegangen, dass Gewaltprävention in den normalen Unterrichtsverlauf, Schulalltag und in den Prozess der Schulentwicklung integriert werden kann und muss, sowie dass es nicht um Einzelmaßnahmen, sondern letztlich um die Verbesserung der Lernbedingungen und des Zusammenlebens insgesamt geht. Gewaltprävention umfasst im schulischen Kontext deshalb vier zentrale Bereiche:- Die Verbesserung der sozialen Schulqualität.
- Die Etablierung und Verdeutlichung von Regeln und Normen des Zusammenlebens.
- Der Umgang mit Konflikten und damit verbunden der Aufbau eines schulischen Konfliktmanagementsystems.
- Das Handeln in akuten Gewaltsituationen.
Für den gesellschaftlichen Kontext reicht dies jedoch nicht aus. Hier müssen neben pädagogischen auch gesellschaftspolitische Gesichtspunkte und Initiativen hinzu kommen. Hierzu gehören u.a. die Förderung einer kinder- und jugendfreundlichen Umwelt, die Unterstützung von Familien bei der Erziehung von Kindern sowie das Angebot von Zukunftschancen für junge Menschen, damit diese ihren Platz in der Gesellschaft finden und das Gefühl „gebraucht zu werden“ entwickeln können.
Gewaltprävention zielt auf die direkte oder indirekte Beeinflussung von Personen bzw. Situationen, um das Risiko zu vermindern, dass Gewalttaten begangen und Menschen Täter oder Opfer von Gewalt werden.
Herbert Scheithauer u.a.: Gelingensbedingungen für die Prävention interpersonaler Gewalt im Kindes- und Jugendalter. In: Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Theorie und Praxis des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Berlin 2008, S. 52.