Im Kontext von Gewalthandlungen kommt es oft zu traumatischen Erlebnissen, die bei Opfern und Zuschauern zu sog. Posttraumatischen Belastungsstörungen führen können. Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine mögliche Reaktion auf eines oder mehrere traumatische Ereignisse. Prinzipiell können vier verschiedene Erfahrungszusammenhänge unterschieden werden (Bolt 2005, S. 31):
- Erfahrungen im sozialen Nahraum, wie z.B. häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt, Misshandlungen und Vernachlässigungen in der Familie, Trennung durch Scheidung oder Tod.
- Erfahrungen im Gesellschaftskontext wie Krieg, Folter, Terrorakte, Verfolgung.
- Erfahrungen mit Großschadensereignissen wie Naturkatastrophen, Unglücksfällen.
- Mittelbare Erfahrungen, wie Zeuge von Traumatisierungen von anderen werden, Computerspiele, Horrorfilme.
Es kommt bei einer Traumatisierung oft zum Gefühl von Hilflosigkeit und zu einer existentiellen Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses. Das Entscheidende an der Traumatisierung ist der Verlust der Sicherheit und die Unterbrechung des Kontaktes zu anderen. Die Welt und das eigene Leben sind nach dem Trauma nicht mehr wie zuvor; Beziehungen müssen neu aufgebaut und neu definiert werden.
Das Störungsbild ist u.a. geprägt durch:
- sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma oder Erinnerungslücken (Albträume, Flashbacks, partielle Amnesie);
- übererregung (z.B. Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Konzentrationsstörungen);
- Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziativer Eindrücke);
- emotionale Taubheit (z.B. allgemeiner Rückzug, Interesseverlust, innere Teilnahmslosigkeit);
Verhaltensauffälligkeiten (z.B. bei Kindern und Jugendlichen). Die Symptomatik ist individuell sehr verschieden und kann auch mit mehrjähriger Verzögerung noch auftreten. Die Häufigkeit des Auftretens ist abhängig von der Art des Traumas.
Post Traumatic Stress Disorder (P.T.S.D) Post Traumatic Stress Disorder is a natural emotional reaction to a deeply shocking and disturbing experience. It is a normal reaction to an abnormal situation.
www.ptsd.org.uk/what_ist_ptsd.htm
Umgangsmöglichkeiten
Die „Erstversorgung“ traumatisierter Personen wird als zeitnahe Maßnahme (beginnend am Ort des Geschehens) oft von sog. Kriseninterventions-Teams vorgenommen. Die sich anschließenden Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategien verlaufen i.d.R. in drei Stufen:
- Stabilisierung, Kommunikation, Sicherheit: Herstellung von äußerer (und innerer) Sicherheit: Schutz vor Wiederholung der traumatischen Ereignisse, Ausschluss von Kontaktmöglichkeiten zum Täter, Herstellung einer sicheren Beziehung und einer verlässlichen Kommunikationsbasis durch feste Bezugspersonen, bewusste aktive Planung (Strukturierung) des Alltags usw.
- Verarbeitung und Erinnern des Traumas: Trauerarbeit durch verbale und nonverbale Ausdrucksformen, Wiedererleben und Durcharbeiten.
- (Re-)Integration, Aktivierung eigener Ressourcen durch Mobilisierung der Selbstheilungskräfte. Gewinnung neuer Sinnzusammenhänge und Lebensperspektiven.
Die erste Stufe wird dabei oft der traumapädagogischen Arbeit zugeschrieben, während die Stufen zwei und drei als Aufgaben der Traumatherapie bezeichnet werden.
Als Grundregel kann gelten: Es ist besser sich mit den belastenden Ereignissen auseinander zu setzen als diese zu verdrängen, zu verleugnen oder zu verniedlichen, auch wenn dies für den Moment schmerzhafter ist (vgl. Gugel/Jäger 1999, S. 123 ff.).Alarmsignale Das Verhalten der Schüler beobachten, Alarmsignale wahrnehmen:
- andauernde Apathie;
- andauerndes depressives Verhalten;
- wiederkehrende – unmotivierte – Aggressivität;
- erhebliches und andauerndes Fehlen;
- Klagen über Schlaflosigkeit, Albträume, Appetitverlust, Magenschmerzen, Kopfschmerzen, andere psychosomatische Beschwerden.
Tritt solches Verhalten bei Schülern auf, sollen Hilfs- und Interventionsangebote wahrgenommen werden.
Gerhard Eickenbusch/Ragnhild Wedlin: „Jetzt weiß ich, was ich tun muss, wenn etwas passiert!“. In: Pädagogik, 4/2005, S. 14.
Albträume und mehr ...
Die Schüler hatten Albtraume und sahen Dinge, die sie gar nicht erlebt hatten. Und was sie erlebt hatten, war zum Teil unbeschreiblich. Einige haben mir erzählt, wie sie stundenlang unter Todesangst gewartet haben, wie sie Lehrer oder Mitschüler haben sterben sehen. Es gab vereinzelte Kinder, die mir anvertrauten, dass sie sich mit Rasierklingen verletzen, aber ihren Eltern nicht davon erzählen. Manche Schüler und auch Lehrer haben mir von ihren Selbstmordplänen und -versuchen berichtet, und mehr als einmal war ich in Bedrängnis, wie ich mit dem mir anvertrauten Wissen umgehen sollte. Anfangs war mir diese Suizidsucht ein Rätsel: Das Glück, ein solches Ereignis zu überleben, muss doch dazu führen, das eigene Leben ab jetzt bewusst und aktiv zu gestalten?! Die Traumatherapeutin Gabriele Kluwe-Schleberger hat mir erklärt, dass manche überlebende einer solchen Katastrophe eben auch den verlorenen Menschen in den Tod folgen wollen.
Jens Becker: Kurzschluß. Der Amoklauf von Erfurt und die Zeit danach. Berlin 2005, S. 245.
Handlungsmöglichkeiten
- Den Hilferuf erkennen: Kinder, die zu klein sind, um komplexe Gefühle verbal auszudrücken, formulieren ihren Hilferuf, indem sie auf frühere Verhaltensstufen regredieren (z.B. wieder einnässen), indem sie vorübergehend bereits erworbene Fähigkeiten verlieren oder indem sie sich an Elternteile oder andere Personen klammern.
- Gedanken und ängste ausdrücken: ältere Kinder sollten ermutigt werden, ihre Gedanken und ängste durch Erzählen, Singen, Spielen, Malen usw. auszudrücken. Erwachsene haben dabei eher die Rolle des aktiven Zuhörers. Neben Einzelgesprächen spielt auch die Arbeit in Gruppen von Betroffenen eine wichtige Rolle. Künstlerische Ausdrucksformen (Zeichnen, Basteln, Werken, Gestalten) stellen eine spezifische Art der Auseinandersetzung mit den traumatischen Erlebnissen, sowie eine Möglichkeit der Bewältigung dar.
- Trauer und Abschied ermöglichen: Wenn Geschwister, Eltern oder Bekannte ums Leben kamen, ist es wichtig Trauern zu ermöglichen. Hierzu gehört als erstes, dass die betroffenen Kinder die Toten subjektiv auch als Tote (und nicht als Vermisste, die irgendwann wiederkommen) wahrnehmen, sowie, dass sie wo immer möglich, an den Todes-Zeremonien und -Ritualen beteiligt werden
Schritte, um mit einem Todesfall in der Klasse umzugehen
- Das Leid benennen;
- die Lücke beschreiben;
- Schuldgefühle abbauen;
- das aktive Trauern, z.B. durch kleine Gaben, Schulzimmerrituale und eventuell die Teilnahme an der Beerdigung.
Dorothea Meili-Lehner: „Wir müssen nicht alle Antworten wissen ...“ In: Pädagogik,4/2005, S. 17.
- Sicherheit geben: Ein wichtiger Weg, um bei diesen Kindern die seelische Gesundheit wieder herzustellen, ist, ihnen wieder die Sicherheit zu geben, dass ihre einst relativ stabile Welt, die durch ein plötzliches Ereignis aus den Fugen geraten ist, wieder eine neue Ordnung erhalten kann.
- Nähe und Geborgenheit vermitteln: Gerade Kinder benötigen zwischenmenschliche Wärme, das Gefühl von Angenommensein und Geborgenheit. Dies ist in Extremsituationen besonders wichtig und zugleich besonders schwierig zu vermitteln.
- Zur täglichen Routine zurückfinden: Bei der Herstellung von Verlässlichkeit und Sicherheit spielen wiederkehrende Rituale sowie gleichbleibende tägliche Routinen eine wichtige Rolle. Die meisten Kinder können durch solche Maßnahmen innerhalb weniger Monate die mit den traumatischen Erfahrungen verbundenen ängste überwinden.
Wichtig ist es auch zu berücksichtigen, dass neue Geborgenheit und Vertrauen sich am effektivsten die Traumatisierten selbst gegenseitig geben können. Dies spricht dafür, vor allem bei Erwachsenen Selbsthilfegruppen anzubieten.
- Nichts ist wie vorher: Die durch krisenhafte Ereignisse (Verletzungen, Tötungen, Selbsttötungen) herbeigeführte Situation verändert das Leben der Betroffenen grundlegend und dauerhaft. Was bisher war, ist nicht mehr herstellbar. Das Leben „muss“ zwar (irgendwie) weitergehen, doch der Blick in den Abgrund, die erfahrene Nähe des Todes und der Verlust von Angehörigen, Freunden und/oder Bekannten veränderte alles, was wichtig war und Sicherheit gab.
Wie der Opfer gedenken? Vorschläge von Schülerinnen und Schülern (nach einer Brandkatastrophe in einer Diskothek in Göteborg, bei der 15 Schülerinnen und Schüler ums Leben kamen):
- Alles, was über die Katastrophe berichtet und geschrieben wurde, soll in einem Buch gesammelt werden.
- Es soll ein gesonderter Gedenkraum eingerichtet werden – mit einer Gedenktafel und Bildern der Verstorbenen.
- Ein Buch mit Gedichten und Grüßen der Schüler drucken.
- Die Verstorbenen mit einer Schweigeminute ehren.
- Sich jedes Jahr am Unglückstag an der Brand- stelle versammeln und Kerzen anstecken.
Trostworte, die nicht trösten
- „Ich weiß genau, wie du dich fühlst.“
Diese Aussage sollte nur gemacht werden, wenn wirklich ähnliches erlebt wurde, ansonsten soll sie zwar Mitgefühl ausdrücken, verkleinert aber den augenblicklichen Schmerz zu einem Allerweltsschmerz.
- „Du bist noch jung, das Leben geht weiter.“
Diese Worte nehmen den Schmerz nicht ernst.
- „Ein Glück, dass sie jetzt erlöst ist und keine Schmerzen mehr hat.“
Sie hat keine Schmerzen mehr, aber um welchen Preis? - „Die Guten sterben immer jung.“
Schlussfolgerung: Dann hat man lieber schlechte Kinder!?
- „Die Zeit heilt alle Wunden.“
Nicht alle Wunden heilen, mit manchen muss man einfach leben lernen.