Verhalten in akuten Gewaltsituationen

Selbstverteidigungstechniken

Unter Selbstverteidigung wird die Abwehr eines Angriffs oder einer drohenden Gefahr quasi als Notwehr gegen Gewalt verstanden. Neben spontanen Verhaltensweisen gibt es ausgearbeitete Selbstverteidungssysteme, die vielfach in Kursen angeboten wer­den. In der Praxis bedeutet Selbstverteidigung, für die eigene körperliche Unversehrtheit zu kämpfen. Die Vermittlung von Selbst­verteidigungstechniken in mehrstündigen Kursen zielt darauf ab, sich körperorientierte Abwehr-, Festhalte- oder Schlagtechniken aus dem Kampfsport als Handlungsoptionen für Gewaltsituationen anzueignen.

Solche Techniken sind jedoch aus vielerlei Gründen problematisch und oft auch gefährlich (vgl. Landeskriminalamt Niedersachsen 2005):

  • sie vermitteln eine Scheinsicherheit, die in einer realen Gewalt­situation zu unüberlegten Handlungen führen kann;
  • sie konzentrieren das eigene Verhalten auf das Kämpfen und lassen andere Alternativen außer Acht;
  • sie erfordern den Einsatz komplexer Verhaltensmuster, die in emotional beladenen Situationen meist nicht abrufbar sind;
  • sie differenzieren nur unzureichend zwischen „Fremdtätern“ und Tätern aus dem häuslichen Umfeld (häuslicher Gewalt). Viele Strategien, die gegen fremde Täter vergleichsweise einfach zum Erfolg führen, zeigen bei Tätern aus dem sozialen Nahraum des Opfers keine oder nur eine geringe Wirkung (vgl. Landeskriminalamt Niedersachsen).
  • viele Techniken wirken nur, wenn sie schnell, gezielt, mit Kraft und Konzentration durchgeführt werden und setzen für ihren effektiven Einsatz oft langjähriges, regelmäßiges Training voraus;
  • da die Opfer meistens körperlich unterlegen sind, fehlt es ihnen oft auch an Kraft, die eingeübten Selbstverteidigungstechniken wirkungsvoll durchzuführen;
  • sie erfordern die überwindung der Hemmschwelle, andere körperlich zu verletzen;
  • sie stellen eine gezielte Eskalation der Situation dar;
  • bei körperlichen Auseinandersetzungen können Beobachter vom Eingreifen abgehalten werden;
  • ein körperlicher Angriff bei „gefühlter“ Bedrohung kann schwerwiegende rechtliche Folgen haben.

Keine Waffen Waffen, wie Messer, Wurfsterne, Schlagwerkzeuge, Sprays, Elektroschocker usw. bieten keinen Schutz, sondern bringen unweigerlich eine Eskalation der Situation mit erheblicher Verletzungsgefahr mit sich.

Das Mitführen von Waffen jeder Art ist an Schulen grundsätzlich verboten.

Bei sexuellen übergriffen zeigt die Statistik jedoch, dass massive körperliche Gegenwehr häufig zu einem Abbruch der Tat führt (Landeskriminalamt Niedersachsen 2006, S. 11).

Wichtiger als die körperliche Selbstverteidigung sind deren psychologischen Grundlagen wie selbstbewusstes Auftreten, eine Körpersprache, die Selbstsicherheit ausdrückt, verbales Abgrenzen, überwinden von Hemmschwellen, etc. Dieser Bereich lässt sich jedoch nicht (nur) „technisch“ lernen, sondern bedarf i.d.R. auch einer Persönlichkeitsentwicklung. Eine unsichere oder unterwürfige Körperhaltung ist eben auch Ausdruck einer sich unsicher fühlenden Person.

Die Entwicklung von Selbstbewusstsein zu unterstützen und Möglichkeiten aufzuzeigen, die eigene Opferrolle zu verlassen, Grenzverletzungen klar zu benennen und die eigenen verbalen und nonverbalen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern sind deshalb wichtige Schritte auf dem Weg Selbstbehauptung in Konfliktsituationen zu erlernen. In diesem Kontext ist es sinnvoll und wichtig auch körperliche Abwehrtechniken zu kennen (vgl. In­stitut für Gewaltprävention). Ebenso wichtig ist es, alternative Möglichkeiten wie z.B. akustische Signale (z.B. Druckluftpfeifen) einsetzen zu können, um auf eine Bedrohungssituation aufmerksam zu machen.

Schritte

  • Intervenieren: Beendigung der destruktiven Auseinandersetzung, bei der sich die Kontrahenten bzw. Kontrahentinnen bereits durch Einsatz von Gewalt (drohen zu) verletzen. Entschiedenes und klares Eingreifen im Sinne einer „neutralen Autorität“ ist hier aussichtsreich, nicht jedoch Versuche einer unmittelbaren Aufklärung des Sachverhaltes oder gar unverzügliches Be- bzw. Verurteilung.
  • Runterkühlen: Die Kontrahenten werden darin unterstützt, sich zu beruhigen. Ihnen wird z.B. Zeit und Raum gelassen, sich abzureagieren. Individuell unterschiedlich kann Spannungsabbau beispielsweise durch Bewegung, Zuwendung, Ruhe oder Ablenkung passieren. Eine sinnvolle Unterstützung hierin kann in der Regel nicht beiden Kontrahenten gleichzeitig geboten werden.
  • Konfliktbearbeitung: In Gesprächen findet die eigentliche Aufarbeitung des auslösenden Streits statt. Kommunikation spielt also eine zentrale Rolle. Ein geeignetes und effektives Mittel hierbei kann die Mediation sein. Situationsabhängig sind hier aber auch andere Maßnahmen zielführend, beispielsweise Wiedergutmachungen, Sanktionen, Vereinbarungen für die Zukunft.
Frank Beckmann: Deeskalieren in Gewaltsituationen – Tellerrandwissen für Schulmediatoren. In: Spektrum der Mediation, 20/2005, S. 44.

Gegenwehr bei sexueller Nötigung
Energische Gegenwehr ist erfolgversprechender als halbherzige Abwehrversuche. 93% der Frauen, die sich in öffentlichen Bereichen massiv durch Treten, Schreien oder Schlagen gegen sexuelle Nötigung zur Wehr gesetzt hatten, konnten den Abbruch des körperlichen Angriffs erreichen.

Im häuslichen Bereich, also gegen in der Regel bekannte Täter, wurde bei 70% der Frauen, die sich massiv wehrten, der Angriff abgebrochen. Die Erfolge bei leichter Gegenwehr waren jeweils deutlich geringer.
Vgl. Polizeidirektion Hannover 1996.

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