Familie und Kommune

Ansätze und Maßnahmen

„Bei der primären Prävention gegenüber familiärer Gewaltanwendung geht es vor allem um den Abbau gewaltfördernder Leitbilder und Lernprozesse und um die soziale Reintegration der Familie. Grundlage der Eindämmung von Gewalt in der Familie ist der Abbau wirtschaftlicher und sozialer Stressphänomene mit den Mitteln der allgemeinen Sozialpolitik. Denn ein günstiges Sozial- und Wirtschaftsklima ist gleichzeitig ein günstiges Präventionsklima. Sekun­däre Prävention setzt regelmäßig ein ‚Umlernen’ der einzelnen von Gewalt betroffenen Familien im Umgang mit Konflikten und ihre Einbindung in ein Netz gezielt stützender Sozialbeziehungen voraus. Das Opfer von Gewalt in der Familie ist in besonderem Maße schutzbedürftig“ (Schwind u.a. 1989, S. 157).

Damit umreißt die damalige Gewaltkommission der Bundesregierung bereits 1989 die Aufgaben von Gewaltprävention in Familien und spricht auch die verschiedenen Ebenen an. Gesetzliche Regelungen geben den rechtlichen Rahmen vor, wirtschaftliche Unterstützung entlastet den Alltag und sozialpädagogische Begleitung und Hilfe ermöglicht das Erlernen prosozialer Verhaltensweisen.

Die Leitlinien des Düsseldorfer Gutachtens präzisieren diese Aussagen vor dem Hintergrund von evaluierten Modellen: „In der Familie setzen alle wirksamen multisystematischen Behandlungen auch auf eine zwar strikt gewaltfreie, aber verstärkte Kontrolle über das Kind oder den Jugendlichen. Das Elternverhalten soll aggressives, inkonsistentes, aber auch zu nachlässiges Erziehungsverhalten vermeiden. Es sollen einerseits Grenzen gesetzt und andererseits erwünschtes Verhalten gefördert werden. Die elterliche Aufsicht über das Kind ist damit ein entscheidender Präventionsfaktor“ (Landeshauptstadt Düsseldorf 2004, S. 26).

Disziplin!? Hinter dieser Sehnsucht nach Disziplin steckt vor allem der Wille, möglichst effizient zu erziehen und die Kinder mit möglichst wenig Aufwand zu kontrollieren. Wir möchten uns so wenig, wie es geht, mit den Kindern beschäftigen. Dabei ist das Wichtigste, was wir ihnen geben können, unsere Zeit, unsere Aufmerksamkeit. Das Problem liegt bei den Eltern, nicht bei den Kindern. (...) Beziehung kommt vor Erziehung.
Remo Largo: Erziehung ist anstrengend. In: Frankfurter Rundschau, 7.4.2008, S. 17.

Unterstützung und Verbesserung des positiven Erziehungsverhaltens
Um ein konsequent gewaltfreies Verhalten – was nicht mit dem Verzicht auf Erziehung überhaupt verwechselt werden darf – leben zu können, sind Aufklärung und Unterstützung notwendig. Dies geschieht durch Informations- und Lernmaterialien, aber auch durch gezielte Elternbildung und -schulung.

Positives Erziehungsverhalten zu entwickeln und zu fördern setzt natürlich voraus, zu identifizieren und zu definieren, was unter einem solchen Erziehungsverhalten überhaupt zu verstehen ist. Angesprochen sind dabei die Bereiche Kommunikation, Wertschätzung und Anerkennung, Wärme und Geborgenheit, Autorität und Vorbild, Grenzen und Regeln, Absprachen, Problemlöseverhalten, Umgang mit Konflikten, Förderung und Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. M4). Die Grundorientierung stellt dabei das Prinzip einer gewaltfreien Erziehung dar (vgl. Oser/Schlippe 2004). Ein besonderer Problembereich im Kontext von Erziehung sind Strafen, insbesondere Körperstrafen. Obwohl bekannt und belegt ist, dass gerade Körperstrafen äußerst negative Effekte für das Selbstwertgefühl und die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit haben, und obwohl Körperstrafen in vielen Ländern und Bereichen verboten sind, werden sie doch angewendet. Gerade im Kontext von Gewaltprävention sind sie äußerst kontraproduktiv. Hier benötigen viele Eltern massive Hilfestellungen.

Veränderung des Erziehungsverhaltens durch Elternkurse
Elternkurse stellen ein wichtiges Element einer umfassenden Gewaltprävention dar. Sie haben den Anspruch, Hilfen für den Erziehungsalltag zu bieten und haben meist ähnliche Ziele: Eltern und Kinder sollen wieder ohne Stress miteinander auskommen können, das Selbstwertgefühl der Kinder soll ebenso wie die Elternrolle gestärkt, Achtung und Respekt voreinander sollen eingeübt werden, und Kinder sollen sich ihrer Lebensphase angemessen entwickeln und entfalten können.

Das Angebot an Eltern- und Erziehungskursen ist groß. Die Menschenbilder allerdings, die den jeweiligen Konzepten zugrunde lie­gen, sind ebenso wie die Methoden und die Arbeitsweisen innerhalb der Kurse sehr unterschiedlich. Auf dem „Markt“ sind standardisierte Kurse, die eine spezifische Trainerausbildung voraussetzen, ebenso zu finden wie selbst entworfene Angebote im Rahmen der lokalen Erwachsenenbildung.

Ein Problem haben alle Kursangebote gemeinsam: wie lässt sich erreichen, dass „Problemeltern“ an solchen Kursen teilnehmen? Die festgestellte Notwendigkeit sowie das Angebot sagen noch nichts über das Erreichen von Problemgruppen aus. Wichtige Fragen sind ungeklärt: Sollten solche Basis-Kurse für alle Eltern verpflichtend sein oder ist es besser mit einem Bonus- und Anreizsystem zu arbeiten? Ist es sinnvoll die Teilnahme an Kursen in indizierten Fällen (z.B. bei der Feststellung von Vernachlässigung oder Misshandlung von Kindern) verbindlich zu regeln (vgl. Tschöpe-Scheffler 2004)?

Für den Bereich der Gewaltprävention wurden eine Reihe von spezifischen Elternkursen u.a. vom Deutschen Kinderschutzbund („Starke Eltern – Starke Kinder“ – vgl. Hokanen-Schoberth 2003) entwickelt. Die Qualität solcher Elternkurse zeigt sich u.a. in der Transparenz der theoretischen Grundlagen des Kurses, seiner Ziele, Inhalte und Methoden.

Erwerb von Sozialkompetenz In Auseinandersetzungen lernt ein Kind Kommunikationsregeln, Argumentation und Diskussionsstil, und zwar am besten keineswegs als theoretische Lerneinheit, sondern optimal und nach­haltig direkt im Konflikt – selbst erlebt oder miterlebt am Ablauf und vor allem am Ausgang einer Streiterei. Auf diesem Weg sind Eltern maßgeblich am Erwerb von Sozialkompetenz beteiligt. Sie bestimmen die Klarheit der Meinungsäußerung, die Selbstsicherheit des Auftretens, die Aufgeschlossenheit anderen Argumenten gegen­über, die Kompromissbereit­schaft und den Umgang mit dem „Gegner“ – aber auch, inwieweit letztendlich mit abwertender Zurückweisung und Druck gearbeitet wird.
Gabriele Haug-Schnabel/ Nikolas Schnabel: Pubertät. Eltern-Verantwortung und Eltern-Glück. Ratingen 2008, S. 187.

Verbesserung des Konfliktmanagementsystems – Hilfe bei familiären Konflikten zwischen den Partnern
Wenn Eltern und Partner nicht mehr selbst weiterkommen, weil sie im Konflikt gefangen sind und selbst über keine Konfliktlösestrategien und Konfliktkompetenzen verfügen, benötigen sie Hilfe von außen. In den letzten Jahrzehnten wurde ein differenziertes Instru- mentarium von Beratung, Begleitung und Therapie entwickelt. Hierzu gehören u.a. Erziehungsberatung, Familienberatung, Familientherapie und Familienmediation.

Bei akuten Gewaltvorkommnissen muss (oft schnell) gehandelt werden. Durch das im Jahre 2002 in Deutschland in Kraft getretene „Gewaltschutzgesetz“ werden Personen, die von ihren Lebens- partnern misshandelt werden, schneller und effektiver geschützt, als zuvor. Der Grundsatz lautet: „Wer schlägt, muss gehen“ (vgl. Bartz/Helferich 2006). Zur Bekämpfung häuslicher Gewalt wird in Baden-Württemberg als erstem Bundesland das Platzverweisverfahren praktiziert. Wird der Polizeivollzugsdienst zu einem Einsatz bei häuslicher Gewalt gerufen, so kann dem Gewalt ausübenden Familienmitglied – in der Regel dem Mann – aufgrund des Polizeigesetzes ein Hausverbot erteilt werden. Frauenhäuser bieten misshandelten Frauen und ihren Kindern unbürokratisch Hilfe, Schutz und Unterkunft an. Trainingskurse von Männern gegen Männergewalt wollen verhindern, dass Männer, die in Beziehungen Gewalt angewendet haben, wieder gewalttätig werden. Zudem wurden in mehreren europäischen Ländern spezielle Beratungsstellen für Männer eingerichtet.

Zu diesen Angeboten hinzukommen müssen familienbildende und familienunterstützende Maßnahmen als niedrigschwellige Betreuungs- und Beratungsangebote, die Stärkung der ökonomischen Situation von Familien sowie die Einbindung in ein Netz von nachbarschaftlichen, freundschaftlichen und verwandschaftlichen Beziehungen.

Recht auf gewaltfreie Erziehung In der Bundesrepublik Deutschland wurde im Jahr 2000 der § 1631, Abs. 2 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Erfahrungen
Die Frage „What works?“ beantwortet der Sherman Report (Sherman 1998, S. 4-29) im Rahmen seiner Metaanalyse von evaluierten Ansätzen zur Gewaltprävention in der Familien so:

  • Häufige Hausbesuche über einen langen Zeitraum (bis zu fünf Jahre) kombiniert mit Programmen in der Vorschule beugen späterer Delinquenz von Kindern vor;
  • Wöchentliche Hausbesuche bei kleinen Kindern reduzieren Missbrauch und Misshandlungen von Kindern;
  • Familien-Therapie durch medizinisches Personal für delinquente und nicht belastete Jugendliche wirken sich positiv auf die Reduktion von Kriminalität aus.

Erfahrungen aus der Praxis belegen, dass gerade gewaltbelastete Familien die Angebote der Primärprävention kaum nutzen. Außerdem werden Unterstützungen, die in einer gewissen öffentlichkeit gegeben werden, eher als Kontrolle und weniger als Hilfe empfunden (Tschöpe-Scheffler/Niermann 2002, S. 14).

Insgesamt gilt auch für Gewaltprävention in der Familie, dass zu wenige Programme evaluiert sind und der Forschungsbedarf enorm ist.

Um Gewaltprävention in der Familie wirksam etablieren zu können, bedarf es zunächst einer Enttabuisierung. Gewalt in der Familie darf nicht länger als Privatangelegenheit der Betroffenen, quasi als deren legitimes Recht angesehen und behandelt werden. Familien müssen darüber hinaus massiv finanziell entlastet und gefördert werden.

Armut In Deutschland lebte 2006 mehr als jedes zehnte Kind unter 18 Jahren in einer Familie, in der kein Elternteil erwerbstätig ist. Bei über 3,4 Millionen bzw. 23% der Kinder lag das Einkommen der Familie unter der Armutsgefährdungsgrenze. 13% der Kinder wuchsen in Familien auf, in der niemand über einen Abschluss des Sekundarbereichs II oder höher verfügt. Dies wirkt sich auf die Bildungswege der Kinder und Jugendlichen unmittelbar aus. Von mindestens einer dieser Risikolagen sind 4,2 Millionen oder 30 % aller Kinder betroffen.
Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2008. Bielefeld 2008, S. 26 f.

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