Eine (nicht repräsentative) Untersuchung über die Sichtweise und Betroffenheit von Lehrkräften (Jäger 2007, S. 17) kommt zum Schluss, dass Lehrkräfte keineswegs auf die aktuelle Situation des Mobbing in der Schule vorbereitet sind, dass Lehrkräfte nicht nur als Erziehende betroffen sind, sondern zugleich auch als MobbingOpfer und dass ihre Reaktionen auf Mobbing (so ihre eigene Einschätzung) vielfach inadäquat sind.
Bei dieser Selbsteinschätzung bezüglich der Effektivität von Reaktionen auf Mobbing machen Lehrkräfte die folgenden Aussagen (Jäger 2007, S. 7):
- Geringe Effektivität hätten übersprungshandlungen.
- Mittlere Effektivität hätten das Drohen und der Einsatz körperlicher Mittel bzw. das Einbeziehen von Kollegen.
- Höhere bis hohe Effektivität hätten das Einbeziehen von Schülerinnen und Schülern zur Schlichtung und die Grenzsetzung.
In der Praxis existiert jedoch ein großer Unterschied zwischen den eigenen Reaktionen und der eingeschätzten Effektivität.
Erfahrungen zeigen, dass es schwierig ist, sich in Mobbingsituationen „richtig“ zu verhalten, wirksame Instrumente gegen Mobbing zu entwickeln und Mobbing vorzubeugen. Die Reaktionen auf Mobbing sollten sich neben der individuellen Ebene auch auf die gesamte Klasse sowie die Schulebene beziehen.
Mobbing-Ratgeber legen i.d.R. nahe, sich frühzeitig zu wehren, die Aussprache mit dem Täter zu suchen, Kompromissbereitschaft zu zeigen und Verbündete zu gewinnen. Doch welche Handlungsoptionen sind erfolgreich bzw. werden von den Betroffenen als solche eingeschätzt? Und: welche Optionen stehen den Opfern aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur und psychischen Belastbarkeit überhaupt zur Verfügung? Da Mobbing trotz des massenhaften Vorkommens ein sehr individuelles Geschehen ist, müssen Verhaltens- und Vorgehensweisen immer für den Einzelfall entwickelt werden.
Mobbing beenden Sechzig Prozent der Mobbingfälle in der Arbeitswelt werden erst dadurch beendet, dass die Betroffenen freiwillig oder gezwungen ihren Arbeitsplatz aufgeben, versetzt werden oder aus dem Erwerbsleben ausscheiden.
Bärbel Meschkutat/Martina Stackelbeck/Georg Langehoff: Der Mobbing-Report. Repräsentativstudie für die Bundesrepublik Deutschland. Dortmund/Berlin/Dresden 2003, S. 54.
Warnung vor Ratschlägen
Bei Interventionsmöglichkeiten muss man dringend davor warnen, voreilig gut gemeinte Ratschläge zu geben, für die es weder empirisch Evidenz gibt bzw. über die es noch kaum theoretisches Verständnis gibt in Bezug auf den Mechanismus, warum die einzelnen Maßnahmen wirksam sein sollten. So könnte man etwa als ForscherIn oder LehrerIn versucht sein, den Kindern anzuraten, sich so zu verhalten, wie dies erfolgreichere Kinder tun, also deren soziale Interaktionsstrategien zu kopieren. Befunde von Kochenderfer, Ladd und Skinner (2002) weisen jedoch darauf hin, dass einzelne Strategien funktional sind, wenn Kinder mit mäßiger Viktimisierung konfrontiert sind, und die identischen Strategien aber dysfuntional sind, wenn Kinder mit starker Viktimisierung zu kämpfen haben. So ist z.B. der aktive Versuch, das Problem direkt anzugehen (z.B. die Angreiferin auf deren Verhalten anzusprechen), für Mädchen adaptiv, wenn sie leichte Angriffe abzuwehren haben, wird aber immer dysfunktionaler, je schwerer die Viktimisierung ist, d.h. diese Strategien gehen dann etwa mit noch stärkerer Ablehnung einher.
Beate Schuster: Bullying/Mobbing in der Schule. In: Kai J. Jonas/ Margarete Boos/Veronika Brandstätter (Hrsg.): Zivilcourage trainieren! Theorie und Praxis. Göttingen u.a. 2007, S. 100.
Strafbarkeit Mobbing am Arbeitsplatz ist in der Bundesrepublik Deutschland kein Straftatbestand. Einzelne Mobbinghandlungen sind jedoch strafbar und können auch zur Anzeige gebracht werden. Problematisch ist jedoch immer der konkrete Nachweis des Mobbings, da die Mobber versuchen, ihre Handlungen zu verschleiern. Im Falle eines Strafverfahrens werden viele Mobber daher nicht verurteilt.
Vgl. www.wikipedia.de
Die individuelle Ebene
Es gibt kaum Untersuchungen über die Effektivität von verschiedenen Verhaltensweisen in Mobbingsituationen. Der bereits erwähnte Mobbing-Report zeigt, welche Strategien in der Praxis der Arbeitswelt angewendet werden und wie diese einzuschätzen sind.
„Sich zur Wehr setzen“ geht meist nicht
Die meisten Gemobbten (87 % der Befragten) versuchen zunächst, sich unmittelbar zur Wehr zu setzen. Dabei wollen sie eine Aussprache herbeiführen, setzen sich sprachlich massiv zur Wehr und fragen die Mobber nach den Gründen für ihr Verhalten. Sie fordern sie auf, ihr Verhalten zu unterlassen oder machen Lösungsvorschläge für das Problem. Die Untersuchung stellt zu diesen Handlungsweisen lapidar fest: „In den weitaus meisten Fällen sind die Strategien der Gegenwehr jedoch nicht von Erfolg gekrönt.“ (Meschkutat/Stackelbeck/Langhoff 2003, 95). Dies ist im schulischen Bereich nicht anders. Es gehört zur Strategie von Mobbern, es den Betroffenen schwer oder gar unmöglich zu machen, sich zu wehren. Viele Gemobbte suchen deshalb nach Wegen und Möglichkeiten, die Situation „irgendwie“ zu ertragen. Diese Betroffenen entwickeln sog. „innere“ Bewältigungsstrategien wie „ignorieren der Situation“, „auf die jeweilige Tätigkeit konzentrieren“ oder „Meidung der Mobber“. Andere versuchen durch Leistung zu überzeugen, nehmen Alkohol oder Medikamente oder lassen sich krank schreiben. Diese verdrängenden Ansätze und Handlungsweisen sind nicht nur wenig effektiv, sie werden von den Betroffenen selbst im Rückblick als Fehler gewertet.
Maßnahmen, die das Klassenklima verändern
- Alle Lehrer der Klasse müssen unterrichtet werden. Alle können am Problem arbeiten.
- Die Lehrer müssen sich auf eine Grundlinie einigen. Zum Beispiel: Da geschieht Mobbing. Das dulden wir nicht.
- Die Lehrer zeigen der Klasse, dass sie das Opfer achten. Das Opfer wird nie kritisiert. Mit dem Opfer muss ein Gespräch unter vier Augen geführt werden.
- Aufbau einer Unterstützungsstruktur für den Täter (T-Freund) und für das Opfer (O-Freund), welche beiden freundlich gesonnen ist.
- Die Lehrer müssen beide unterstützen, damit sie aus dem Teufelskreis herauskommen.
- Es muss ein Täter-Opfer-Ausgleich stattfinden.
- Streitschlichter sind mit einzubeziehen.
- Getrennte Gespräche des Klassenlehrers mit den Eltern.
- Bildung einer Unterstützungsgruppe nach dem Konzept des No Blame Approach.
Horst Kasper: Mobbing in der Schule. Probleme annehmen, Konflikte lösen. Weinheim und Basel 1998, S. 24. http://de.wikipedia.org/wiki/Mobbing_in_der_Schule
Nicht halbherzig vorgehen Wer Maßnahmen gegen das Mobbing ergreift, sollte nicht halbherzig vorgehen, das macht die Sache oft nur noch schlimmer. Klare Strafen sind notwendig, aber noch mehr gilt es, die Normen und Werte innerhalb einer Klasse wieder zurechtzurücken. Ziel muss es sein, dem Täter dauerhaft „den Boden sauer zu machen“, so dass er sich durch Mobben keine Anerkennung mehr verschaffen kann.
Mechthild Schäfer: Das System der Schikane In: Elternzeitschrift 2/04 des Bayrischen Kultusministeriums.
Mobbingtagebuch
Da einzelne Vorkommnisse für sich benommen oft harmlos sind und als harmlos dargestellt werden, empfiehlt es sich, in einem Mobbingtagebuch genau zu dokumentieren, was sich wann wie ereignet hat. Daran lässt sich auch das Mobbingmuster erkennen.
Unterstützung holen/Unterstützung bieten
Fachleute schätzen die Situation von Gemobbten so ein, dass sie sich in der Regel aus eigener Kraft nicht helfen können, also auf Hilfe und Unterstützung von außen angewiesen sind. Viele können sich diese Hilfe nicht selbst holen, sondern schätzen auch dies als chancenlos ein. Es hat sich als hilfreich und wirksamer Schutz vor Viktimisierung erwiesen, wenigstens einen (besten) Freund bzw. eine Freundin zu haben (Schuster 2007, S. 94), da dieser nicht nur hilft, Angriffe abzuwehren, sondern auch andere negative Effekte (z.B. negative elterliche Erziehungsstrategien) auffangen kann. Sind keine funktionierenden sozialen Netzwerke (Peergruppen) vorhanden, so können gefährdeten oder gemobbten Kindern auch speziell geschulte Paten zur Seite gestellt werden. Eine wichtige präventive Strategie kann also darin liegen, Freundschaften zu fördern.
Ansprechpartner in der Schule
Da die Opfer nicht selbst in der Lage sind, sich gegen die Angriffe zu wehren, benötigen sie die Hilfe und den Schutz von Autoritäten, d.h. im Schulbereich den Schutz der Lehrkräfte. Diese benötigen die nötige diagnostischen Fähigkeiten Mobbing zu erkennen und das Instrumentarium richtig anzuwenden.
Gespräche führen
Gespräche mit Opfern und Tätern zu führen, ist wichtig. Diese sollten allerdings getrennt geführt und als „Vorgespräche“ betrachtet werden, denn ein gemeinsames Gespräch ist für das Opfer extrem belastend. Da Mobbing ein Gruppen (Klassen-)problem ist, kann das Problem nur mit der gesamten Gruppe/Klasse gelöst werden.
Auf der Klassenebene
Regelmäßige Klassenstunden, in denen die anstehenden Probleme aufgegriffen werden, und Klassenregeln als verbindliche Verhaltensvereinbarungen sowie Mitbestimmungsmöglichkeiten, bilden einen Rahmen für die Prävention. Schülerinnen und Schüler sollen ermutigt und befähigt werden, Mobbing-Vorfälle nicht hinzunehmen, sondern einzugreifen oder wenigstens darüber zu berichten, damit andere Interventionen möglich werden. Dabei ist es wichtig zu verdeutlichen, dass Mobbing nicht geduldet wird und dass es nicht cool ist zu mobben. Wenn die Schülerinnen und Schüler lernen, sich durch die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel in die Sicht- und Erlebnisweise des Opfers einzufühlen, kann diese Empathiefähigkeit zu einem besseren Verständnis der Vorgänge, aber auch zum Einschreiten bei Mobbing beitragen.
Lehrkräfte sollten ihre Klassenführung reflektieren und mit qualifizierten Kollegen und Kolleginnen besprechen. Sollen akute Mobbingfälle in der Klasse bearbeitet werden, so kann es u.U. hilfreich sein, Unterstützung von außen zu holen, um das Geschehen zu klären. Dabei ist die Unterstützung von Mobbingopfern auf der Schülerebene wichtig. Sich hier einzumischen, Mobbingfälle aufzudecken, den Opfern beizustehen und den Tätern die Unterstützung zu entziehen, ist zivilcouragiertes Handeln im besten Sinne. Ziel des Handelns auf Klassenebene sollte eine positive Veränderung der Klassenstruktur sein.
Auf der Schulebene
Lehrkräfte, Eltern, Schülerinnen und Schüler müssen sich einig sein, dass Mobbing Gewalt ist, die weder ignoriert noch toleriert wird. Dies muss allen gegenüber klargestellt und praktiziert werden. Bei Mobbing-Vorfällen muss deshalb sofort reagiert werden.
Prävention bedeutet aber auch Beseitigung von möglichen Ursachen für Mobbing, Sensibilisierung für das Problem sowie Bereitstellung effektiver Interventions- und Sanktionsmaßnahmen. Schulleitung und Lehrkräfte müssen sich über solche Maßnahmen einigen und diese auch durchsetzen. Die klare Stellungnahme der Schulleitung ist hier besonders wichtig. Ein Verhaltenskodex, der in der Schulordnung (etwa in Form einer Anti-Mobbing-Konvention) festgehalten und in einem gemeinsamen Prozess entwickelt wurde, verdeutlicht die Verhaltenserwartungen sowie das nicht tolerierte Verhalten. Hier muss ausdrücklich festgehalten werden, dass sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Mobbing verurteilt und sanktioniert werden. Die Betroffenen haben das Recht, sich zu beschweren, und diese Beschwerden werden sehr ernst genommen.
Verhaltensgrundsätze müssen begleitet werden durch einen Verbund von Unterstützungsmaßnahmen wie Beratung, Fortbildung, Hilfen und Sanktionen, Kooperationen mit Erziehungsberatungsstellen, Jugendämtern, Mediatoren usw.
Zentral ist jedoch, ein lernförderliches Schulklima zu schaffen, das von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung geprägt ist und in dem individuelle Verantwortung und Förderung ihren Platz haben.
Dies ist nur zu erreichen durch Fortbildungsmaßnahmen für die Lehrkräfte, die Etablierung eines Konfliktmanagementsystems und eine Weiterentwicklung der Schulkultur zu einer „guten Schule“.
No Blame Approach Der „No Blame Approach“ ist eine noch neue, aber zunehmend angewandte Methode, akutem Mobbing zu begegnen. Der Ansatz wurde Mitte der 80er Jahre in England von Barbara Maines und George Robinson entwickelt und später in der Schweiz aufgegriffen und mit viel Erfolg gegen Mobbing angewandt. Erste Erfahrungen in verschiedenen Schulen zeigen auch in Deutschland ermutigende Ergebnisse. In vielen Fällen konnte Mobbing innerhalb kurzer Zeit gestoppt werden. Die Wirksamkeit des Ansatzes liegt darin begründet, dass – trotz der schwerwiegenden Problematik – vollständig auf Schuldzuweisungen und Strafen verzichtet wird. Vielmehr werden die am Mobbing beteiligten Schülerinnen und Schüler in einen Gruppenprozess einbezogen, der sie konsequent in die Verantwortung für die Behebung des Problems einbezieht. Sie werden als „Helferexperten“ angesprochen und so aktiv in den Lösungsprozess eingebunden.
Schulministerium NRW: Das Bildungsportal. www.schulministerium.nrw.de/BP/Lehrer/ Beratung_Lehrkraefte/No_ Blame_Approach/index.html