„Fremdenhass und Gewalt gegen Minderheiten sind aus unserer Gesellschaft nicht verbannt und kommen nahezu täglich vor. Ausländer, Behinderte, Obdachlose werden diskriminiert, bedroht oder angegriffen. Menschenfeindliche, antisemitische und rassistische Ideologien werden öffentlich vertreten. Die Gräuel des Nationalsozialismus werden verharmlost oder gar geleugnet“ so der frühere Bundespräsident Johannes Rau (2000). Wenn wir nicht wollen, dass unser Land vergiftet wird und unsere Demokratie ihre Basis verliert, ist es zentral, sich gegen Unrecht, Ungerechtigkeit und Willkür zu wehren und Freiheit und Menschenwürde überall dort zu verteidigen, wo sie infrage gestellt oder beschnitten werden. Dies fängt im Alltag an, reicht über den beruflichen und öffentlichen Bereich bis zur Politik.
Die Fähigkeit, Gleichheit von Ungleichheit und Recht von Unrecht zu unterscheiden, soziale Demokratie und rechtsstaatliche Prinzipien als kostbares Angebot von Freiheit, Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt zu erkennen, ist eine Schlüsselqualifikation für eine demokratische Gesellschaft (vgl. Thierse 2000). Zivilcourage gehört zu den unverzichtbaren Tugenden der Bürgerinnen und Bürger einer Demokratie. Sie hat die Aufgabe, den öffentlichen Raum zu verteidigen und die Geltung humaner Werte in der Gesellschaft zu sichern.Zivilcourage
- Die eigene Meinung – auch gegenüber Vorgesetzten ausdrücken;
- dies nicht nur privat, sondern auch öffentlich;
- das eigene Handeln nach moralischen Maßstäben stärker bewerten als opportunistische Anpassung;
- moralisches Handeln mit dem Erwerb von Sachkompetenz verbinden;
- mit diesem Handeln verbundene persönliche Nachteile bewusst riskieren, bzw. in Kauf nehmen;
- die eigene Angst nicht verdrängen, sondern mit dieser Angst handeln.
Kurt Singer: Zivilcourage wagen – wie man lernt, sich einzumischen. München 1997.
Was ist Zivilcourage?
Zivilcourage sei der Mut, überall unerschrocken seine eigene Meinung zu vertreten, ist im „Fremdwörterbuch Duden“ zu lesen. Ohne den zivilen Mut einzelner Bürgerinnen und Bürger gehen freiheitliche Institutionen zugrunde oder werden wertlos, meint Iring Fetscher. Und Johannes Rau (2000) spitzte dies noch zu, indem er erklärte, dass ohne Zivilcourage unsere Gesellschaft nicht leben kann und weiter: „Wir können nicht genug davon haben an Bürgersinn und Zivilcourage, damit Gewalt und Vorurteile nicht im Schatten von Gleichgültigkeit und in dem Gefühl wachsen können: Das geht mich nichts an. (...) Wir brauchen eine neue Bürgerbewegung für ein friedliches Miteinander in unserem Land.“
In der wissenschaftlichen Literatur wird Zivilcourage als die Bereitschaft zu Handlungen, die persönlichen Mut erfordern definiert und bezieht sich auf die Bewahrung bzw. Verwirklichung der normativen Grundlagen rechtsstaatlich demokratisch verfasster Zivilgesellschaften (Nunner-Winkler 2007, S. 29). Typisch für Zivilcourage, so Nunner-Winkler, sei der physische oder verbale Einsatz für die Rechte von Personen, die als Mitglieder bestimmter Gruppen (etwa Ausländer, Homosexuelle, Obdachlose) eine permanente Missachtung erfahren. Zivilcourage bezeichne dabei sowohl eine spezifische Handlung als auch – verallgemeinernd – eine spezifische Tugend als Ausdruck einer Persönlichkeitsdisposition. Wer mit Zivilcourage handle, so Gerd Meyer (2004a, S. 23 ff.), setze sich für demokratische und humane Werte, für legitime, „verallgemeinerungsfähige“ Interessen ein und sei i.d.R. zu friedlichem Konfliktaustrag bereit. Zivilcourage bedeutet häufig nonkonform handeln, anecken oder „gegen den Strom schwimmen.“ Wer Zivilcourage zeigt, tritt heraus aus der Anonymität, zeigt sich als Person. Denn Zivilcourage ist prinzipiell ein öffentliches Handeln, d.h. andere (Dritte) sind anwesend oder erfahren davon. Zivilcouragiertes Handeln ist Handeln unter Risiko, was bedeutet, dass man zumeist mit Nachteilen rechnen und bereit sein muss, diese in Kauf zu nehmen. Nicht jedes mutige Verhalten ist jedoch mit Zivilcourage gleichzusetzen.
Der Begriff Zivilcourage Geht man der Geschichte des Begriffs „Zivilcourage“ nach, so findet man, dass das Wort erstaunlicherweise von Bismarck geprägt wurde. Er schrieb an einen Freund: „Mut auf dem Schlachtfeld ist bei uns Gemeingut, aber wir werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt.“
änne Ostermann: Zivilcourage. HSFK-Standpunkte, Nr. 1/1998, S. 2.
Gerd Meyer (2004a, S. 28) unterscheidet drei Arten des zivilcouragierten Handelns:
- Eingreifen zugunsten anderer, meist in unvorhergesehenen Situationen, in die man hineingerät und wo schnell entschieden werden muss.
- Sich-Einsetzen – meist ohne akuten Handlungsdruck – für allgemeine Werte, für das Recht oder für die legitimen Interessen anderer, vor allem in organisierten Kontexten und Institutionen, häufig auch für eine größere Zahl z.B. von Kolleginnen und Kollegen oder Betroffenen.
- Sich-Wehren gegen akute Zumutungen und Angriffe, z.B. gegen Gewalt, Mobbing oder sexuelle Belästigung. Das kann auch bedeuten, sich zu weigern, etwas moralisch oder rechtlich nicht Annehmbares zu tun.
Zehn Merkmale des gewaltfreien zivilen Ungehorsams
Der juristische Gesichtspunkt:
1. Die Handlung ist illegal.
Der moralische Gesichtspunkt:
2. Die Handlung beruht auf einer Gewissensentscheidung.
Der rationale Gesichtspunkt:
3. Die Handlung ist wohlüberlegt.
4. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Aktionsziel und der Handlungsweise.
Der Gesichtspunkt der Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft:
5. Die Gehorsamsverweigerung wird öffentlich begründet.
6. Alle legalen Mittel sind ausgeschöpft.
7. Die Handlung wird ohne Verheimlichung vollzogen.
8. Eine Bestrafung wird bewusst in Kauf genommen.
Der Gesichtspunkt der Verpflichtung gegenüber den Mitmenschen:
9. Festlegung auf Gewaltfreiheit.
10. Die Würde anderer Menschen wird unbedingt beachtet.
Zivilcourage ist ... Zivilcourage ist eine genuin demokratische Verhaltensweise: ohne Angst und ohne öffentlichen Auftrag, allein im Namen der Vernunft und der Sittlichkeit gegen die Lüge und das Unrecht einzutreten.
änne Ostermann: Zivilcourage. HSFK-Standpunkte, Nr. 1/1998, S. 2.