Demokratieerziehung wird durch Werteerziehung ergänzt und fundiert. Die Achtung des anderen als Grundlage der Moral und als das Ziel der Werteerziehung befähigt Schülerinnen und Schüler, in ständiger Auseinandersetzung mit alltäglichen und grundsätzlichen Problemen, moralisch zu urteilen und dabei demokratische Werte zu entwickeln (vgl. Standop 2005, S. 72).
„Werte stellen das Grundgerüst des (Zusammen-)Lebens. Sie sollten Orientierung geben und die Unterscheidung ermöglichen, was Gut und Böse, was anstrebenswert oder doch eher zu lassen ist. Jede Gesellschaft muss durch gemeinsame Werte verbunden sein, so dass ihre Mitglieder wissen, was sie voneinander erwarten können und dass es bestimmte, von allen getragene Grundsätze gibt, die ihnen eine gewaltlose Beilegung ihrer Differenzen ermöglichen. Dies gilt für örtliche Gemeinwesen ebenso wie für Staatsgemeinschaften“ so der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan (2003).
Erziehung mit dem Anspruch der Wertevermittlung hat mit mehreren Schwierigkeiten zu kämpfen: Werte sind nicht immer unumstritten und nicht immer universell. Auch Werte unterliegen einem Wandel und Veränderungen. Werte können in Konflikt- und Dilemmasituationen miteinander in Konkurrenz treten. Hinzu kommt, dass Erwachsene oft selbst nicht nach den von ihnen propagierten Werten leben. Es besteht offensichtlich eine Kluft zwischen dem Wissen um das Notwendige und dem eigentlichen Handeln. „Das Dilemma, dass die Pädagogik in den Kindern, in der kommenden Generation etwas wecken soll, was in der alten Generation erstirbt oder vernachlässigt wird, mag den Erziehern, für deren Zeit dies zutrifft, die Aufgabe erschweren. (...) Die Erwachsenen leben nicht so, dass die Kinder unmittelbar von ihnen lernen könnten/sollten“, meint Hartmut von Hentig (1999, S. 55).Was sind Werte? In der empirischen Einstellungsforschung gelten Werte als Vorstellungen von gesellschaftlich Wünschenswertem im Unterschied zu Normen, die Verpflichtungscharakter besitzen, deren Nichtbefolgung also sanktionierbar ist. Werte werden funktional als Steuerungsmechanismen für individuelle Einstellungen und Verhaltensdispositionen definiert. Durch ihre Internalisierung werden Wertekonzeptionen zu Wertorientierungen innerhalb des individuellen überzeugungssystems.
Martin und Sylvia Greiffenhagen: Wertewandel. In: Gerhard Breit/Siegfried Schiele (Hrsg.): Werte in der politischen Bildungsarbeit. Schwalbach/Ts. 2000, S. 19.
Die Macht der Bildung
Die Schulbildung jedenfalls begleitet uns kaum in die Wahlkabine; in einer öffentlichen Debatte über den Euro oder über den Kombilohn lässt sie uns im Stich; in Fragen der Dritten Welt oder der Wiedergutmachung von Nazi-Verbrechen oder der Frage des Asylrechts und der Einwanderung beliefert sie uns mit Ausflüchten; spätestens im Milgram-Experiment wissen wir – mit der ganzen Hitlerei im Kopf –, dass sie uns nicht beherrscht. Fordere ich zuviel? Nun, von einem, der den Nationalsozialismus erlebt hat, wird man nicht erwarten, dass er vergisst, wohin
eine wesenslose, nicht angeeignete Bildung führen und wovor sie nicht bewahren kann.
Doch Vorbild sei nicht im Perfekten zu suchen, so von Hentig weiter, sondern in der überwindung des Imperfekten, und hier bietet sich ein weites Feld für Pädagogik.
Werteerziehung ist nie abstrakt, sie vollzieht sich in konkreten (Problem-) Situationen, sie sucht und findet Antworten auch auf Fragen der Alltagsbewältigung. Es geht dabei nicht um überzogene moralische Ansprüche, sondern um Reflexion von Entscheidungen und Handlungen. Deshalb ist die Konfrontation von Verhalten mit Ansprüchen, Meinungen und Wertesystemen so wichtig.
Werteerziehung braucht ebenso wie Demokratiepädagogik die Schule als Lebens- und Erfahrungsraum, denn es gibt Dinge, die man erfahren muss, bevor man sie verstehen und hinnehmen kann. Sie werden nicht durch Belehrung sondern nur über Vorleben und eigenes Lernen verständlich werden. Werteerziehung lebt vom Vorbild und der Glaubwürdigkeit. Vereinbarte Regeln gelten ausnahmslos für alle, aber sie sind nicht unveränderbar und für alle Zeiten. Sie unterliegen der Begründung, der Diskussion und evtl. der Neubewertung.
Die gemeinsame Vereinbarung von erwünschtem Verhalten in der Klasse und der Schulgemeinschaft schafft Verhaltenssicherheit. äußeres Verhalten kann man (sieht man von totalen Institutionen ab) allenfalls kurzfristig erzwingen. Um innere überzeugungen (als Grundlage für Verhalten) muss man werben. Solche überzeugungen über die Gleichwertigkeit von Menschen, die Anerkennung von Unterschieden usw. müssen wachsen.
Merkmale für ein Lernklima, das ethische Grundwerte fördert
- Gerechtigkeit, Fairness und Vertrauen;
- klare schulische und soziale Regeln sowie Transparenz der zu erwartenden Sanktionen bei Regelüberschreitungen;
- freundliche und gesundheitsförderliche Schulräume;
- Mitspracherecht der Schülerinnen und Schüler bei schulischen Entscheidungsprozessen;
- Unterrichtsformen, die den heterogenen Fähigkeiten der Lernenden gerecht werden.
Kanton Aargau, Schweiz www.ag.ch/gewaltpraevention/de/pub/praevention/ethische.php
Hartmut von Hentig (1999, S. 97 f.) benennt sechs Gruppen von Fähigkeiten, die für eine Werteerziehung wichtig sind:
- die Fähigkeit zur Politik, zum Mitdenken und Mitentscheiden in der res publica;
- die Fähigkeit zur Wahrnehmung und Achtung anderer Denk- und Lebensformen unter Wahrung der eigenen;
- die Fähigkeit, Abstand zu nehmen oder Widerstand zu leisten, wenn in der eigenen Umgebung die tragenden gemeinsamen Werte verletzt werden;
- die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse so einzuschränken, dass die Natur geschont wird und benachteiligte Völker einen fairen Anteil am Wohlergehen der Menschen erhalten;
- die Fähigkeit zum Aushalten von Ambivalenz;
- die Fähigkeit, für sich selbst – für die eigene Existenz und für das eigene Glück – einzustehen.
- Moral: Gesamtheit der in der Gesellschaft vorfindbaren moralischen Urteile, Normen, Ideale, Tugenden und Institutionen.
- Ethik: Wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Bereich der Moral; Reflexionstheorie der Moral.
- Wert: Leitvorstellung, nach der sich das soziale Handeln richten soll.
- Norm: Konkrete Verhaltensanweisung mit Wertebezug.
Werte begründen das moralische Handeln. Normen begrenzen und sanktionieren es.
Rüdiger Funiok: Werteerziehung in der Schule. In: TV-diskurs, 1/2007, S. 46.
Werteerziehung in der Schule
Auf den Wertebildungsprozess können Familie und Schule auf zweierlei Weise einwirken: durch das Geltendmachen derjenigen Normen, die für die Aufgaben und den Erhalt ihrer Sozialität unentbehrlich sind, diese also fundieren, und andererseits durch Reflexion einschlägiger Erfahrungen insbesondere aus Anlass von Konflikten (vgl. Gieseke: 2005, S. 181).
Anbahnung ethischen Verhaltens
- Setzen Sie ethische Erziehungsziele.
- Seien Sie moralisches Vorbild.
- Stellen Sie realistische, dem Alter angemessene Erwartungen.
- Zeigen Sie Ihren Schülerinnen und Schülern, dass Ihre Zuneigung nicht an Bedingungen geknüpft ist.
- Stärken Sie das Selbstwertgefühl Ihrer Schülerinnen und Schüler.
- Befähigen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler dazu, die Folgen ihres Verhaltens zu verantworten.
- Nutzen Sie Situationen, in denen die Schülerinnen und Schüler etwas über ethisches Verhalten lernen können.
- Seien Sie auch in Ihrem Verhalten Kolleginnen und Kollegen gegenüber Vorbild für Ihre Schülerinnen und Schüler.
- Machen Sie ethisch geleitetes Verhalten zu einer Angelegenheit der ganzen Schule.
- Vermitteln Sie Ihren Schülerinnen und Schülern, dass das Leben einen Sinn hat.
Der Beitrag der Schule zum Prozess der Wertebildung erfolgt nach Giesecke (2005, S. 132 ff.) auf drei Ebenen:
- Im Unterricht: Unterrichtsinhalte berühren immer auch Werte und Normen, die aufgegriffen werden können und sollten. Die bisherigen Wertvorstellungen der Schülerinnen und Schüler werden dabei konfrontiert mit Werten und Normen, die im sachorientierten Unterricht zum Vorschein kommen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass die Schule keine Werte lehrt, sondern deren Reflexion übt, indem sie den Schülerinnen und Schülern Zugang zu angemessenen Möglichkeiten der Auseinandersetzung bietet. Das Ergebnis ist dabei prinzipiell offen.
- Durch die Normen der Schule: Um Unterricht zu ermöglichen und das soziale Zusammenleben gelingen zu lassen, sind von allen gemeinsame Grundregeln des Verhaltens zu beachten. Sie begrenzen das individuelle Handeln und müssen eingehalten werden, sonst werden Sanktionen geltend gemacht. Diese Regeln müssen von Anfang an klar formuliert und bekannt sein und auch geltend gemacht werden. Nicht übersehen werden dürfen jedoch die Probleme der Transparenz und der Begründung der Regeln und die der Sanktionierung bei übertretungen, zumal hier Macht- und Durchsetzungsfragen berührt werden. Lösungen bieten sich hier durch gemeinschaftlich formulierte Vereinbarungen an. Konfliktmanagementsysteme können helfen mit Regelverletzungen adäquat umzugehen.
- Durch die Gestaltung der Schulkultur: Schüler lernen nicht nur Werte in der Schule (etwa im Unterricht), sie leben in der Schule auch in einem eigenen Wertezusammenhang. Die gemeinsame Gestaltung des sozialen Miteinanders (Mitwirkung, Mitentscheidung, Partizipation) kann zu einer als befriedigend erlebten Schulkultur beitragen mit der sich alle Beteiligten identifizieren und sich als Gemeinschaft erleben können. Dabei geht es nicht um Anpassung, sondern um Anerkennung von Differenzen und Toleranz.
Was ist wirksam? Das Sich-Melden, wenn man in der Versammlung zu Wort kommen will, das Einhalten der Redezeit, das Schlangestehen beim Essenfassen, das Einfordern der Regel: „Klaus, wir hatten vereinbart ... Bitte halte dich daran!“ – das ist allemal wirksamer als die Erinnerung an allgemeine Gebote, als ein Konsens über aufgezählte bedeutende Werte.
Hentig, Hartmut von: Ach, die Werte. München 1999, S. 85.
Normenlernen – der Kontrollansatz
Im Kontext der Kriminalprävention spielt die Kontrolltheorie für das Normenlernen eine wichtige Rolle. Dieser Ansatz geht von einem Zusammenspiel der äußeren und inneren Kontrolle bei der Normbefolgung aus. Die Sichtbarkeit und Klarheit sozialer Normen und der Außenwelt sind so betrachtet die notwendigen Voraussetzungen für deren allmähliche persönliche Aneignung (Verinnerlichung). Daraus ergibt sich (vgl. Landeshauptstadt Düsseldorf 2002, S. 17):
- Das kindliche Verhalten wird beaufsichtigt. Die Verbindung zwischen äußerer und innerer Kontrolle ist nirgends unmittelbarer und intensiver als im Fall elterlicher Beaufsichtigung des Kindes. Dazu gehört natürlich vor allem eine grundsätzlich akzeptierende, wohlwollende Haltung gegenüber dem Kind. Nur in einer solchen Atmosphäre sind Grenzziehungen persönlichkeitsfördernd.
- Abweichendes Verhalten wird erkannt und thematisiert.
- Abweichendes Verhalten wird isoliert und klar und deutlich sanktioniert. Die Strafe zielt aber auf das Verhalten und nicht auf die Abwertung der Persönlichkeit des Kindes.
Der Kontrollansatz darf jedoch nicht falsch verstanden werden. Scharfe äußere Kontrolle mit feindlichen Tendenzen gegenüber dem Kind oder Jugendlichen bewirken keine Verinnerlichung der Werte, sondern eher das Gegenteil. Ganz entscheidend ist die akzeptierende Grundeinstellung – gleichgültig an welcher Stelle des Kontrollsystems. Sonst hält die Konformität nur so lange an, wie eine Aufsichtsperson vorhanden ist.
Ein weiteres Problem dieses Ansatzes ist, dass er nicht die Frage nach der Legitimität der jeweiligen Normen stellt, wer diese setzt, und ob diese Normen Leben und Entwicklung eher fördern oder einengen. Deshalb ist ein eindeutiger Rückbezug von Normen auf Kinder- und Menschenrechte notwendig, und ihre immer wiederkehrende überprüfung und Neubegründung.
Faszination des Bösen Wenn wir mal ehrlich sind, tobt tagtäglich in jedem von uns ein Kampf zwischen Gut und Böse. Wir entscheiden uns ja meistens nicht gegen das Böse, weil wir so viel vom Guten halten, sondern weil wir durch Regeln, Gesetze und drohende Konsequenzen darauf eingeschworen sind. Aber es gibt den Impuls, die Grenzen zu überschreiten, Tabus zu brechen. Und Menschen, die genau das machen, was man sich selbst nicht zutraut, sind eben besonders interessant.
Kriminalkommissar Stephan Harbort. In: Die Welt, 12.1.2009.
Normen und Werte in der Schule
Ein zentraler Risikofaktor (für gewalttätiges Verhalten) ist die Entfremdung der Schüler von schulischen Normen und Werten. Zu ihnen gehören Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft sowie Höflichkeit und Respekt im Umgang miteinander. Schülerinnen und Schüler können aber nur dann den Sinn dieser Werte verstehen und danach handeln, wenn sie erleben, dass sie für alle gleichermaßen gelten, sowohl für sie selbst als auch für ihre Lehrkräfte. (...)
Je stärker die sozialen Bindungen innerhalb eines sozialen Systems und die Identifizierung mit der Organisation und ihren Zielen, desto geringer ist das Ausmaß von Angriffen gegen die Ordnung dieses sozialen Systems, also auch das Ausmaß von Aggression und Gewalt gegenüber Mitschülern oder gegenüber Lehrern. Die Konsequenz aus dieser theoretischen Denkrichtung ist, über feste Einbindungen und zuverlässige Interaktionen zwischen Schülern und Lehrern und innerhalb der Schülerschaft nachzudenken und die Bindung der Schülerinnen und Schüler an die schulische Organisation durch Mitspracherechte und Mitbestimmung über die wichtigsten Umgangsformen zu stärken. Ebenfalls lässt sich aus der sozialen Kontrolltheorie der hohe und identitätsstiftende Stellenwert ablesen, den Schulprofile für Schulen haben können.
Klaus Hurrelmann/Heidrun Bründel: Gewalt an Schulen. Pädagogische Antworten auf eine soziale Krise. Weinheim und Basel 2007, S. 48, 104, Auszüge.Welche Werte vermitteln?
Werteerziehung gründet auf den Grundwerten, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Grundgesetz verankert sind.
Werte sind Ideen, die wir bestimmten Dingen (Gütern) oder Verhältnissen zuschreiben. Sie sind nicht Eigenschaften dieser Dinge oder Verhältnisse. Sie werden von uns definiert, aber nicht erfunden, nicht durch eine Ethik konstituiert, sondern durch diese geklärt, begründet, bestätigt, in eine Rangfolge gebracht; sie können auch nicht von uns abgeschafft, sondern allenfalls verleugnet werden (Hentig 1999, S. 69).
Als zentrale Werte in unserer Kultur werden Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Frieden, Gerechtigkeit und Recht auf Eigentum gesehen. Grundlegend für diese Werte ist die überzeugung von der Würde und Freiheit der menschlichen Person, die in den Leitbegriffen der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) ihren Ausdruck gefunden hat.
Die Frage nach Grundwerten ist auch für Erziehung von zentraler Bedeutung, denn Erziehungsziele müssen begründet und geerdet sein, wenn sie tragen sollen. Sie müssen sich an einem freiheitlich-demokratischen Verständnis von menschlichem Leben und Zusammenleben messen lassen. Schneewind und Böhmert (2009) ordnet diesen Wertvorstellungen drei Entwicklungsperspektiven zu:
- die individuelle Perspektive, d.h. die Entfaltung der Begabungen, Interessen und Fähigkeiten zu einer selbstverantwortlichen Lebensführung jedes Einzelnen;
- die soziale Pespektive, d.h. die Entwicklung sozialer Fähigkeiten, die dazu beitragen, zufrieden stellende zwischenmenschliche Beziehungen herzustellen, die Bedürfnisse anderer anzuerkennen, Verpflichtungen im Dienste der Gemeinschaft zu übernehmen, mit anderen zu kooperieren und Konflikte auf konstruktive Weise auszutragen;
- die moralische Perspektive, d.h. die Entwicklung von Wertmaßstäben, um beurteilen zu können, was richtig und falsch, zulässig und unzulässig, fair und unfair oder gerecht und ungerecht ist.
Eine grundlegende Voraussetzung für die Anerkennung der Würde (und damit der körperlichen, personalen und soziokultuellen Integrität) anderer ist die Erfahrung eigener Integrität und Anerkennung, die sich in Selbstgefühl, Selbstrespekt und Selbstachtung artikuliert. Niemand kann dies entfalten, der nicht seinerseits in allen wesentlichen Bezügen toleriert, akzeptiert und respektiert worden ist (Brumlik 2004, S. 131).