Es waren die Mitglieder der englischen Mittel- und Oberschicht, die die Werte und Normen der Fairness „erfanden“, d. h. das Fair Play erfuhr im viktorianischen Zeitalter Englands seine eigentliche inhaltliche Ausformung und Festlegung auf
- die Herstellung der Chancengleichheit,
- die freiwillige Unterwerfung unter die Regeln und
- die Achtung des Gegners als Partner im sportlichen Wettkampf (Pilz 2005).
Das Wesen des Fair Play lässt sich mit Pilz entsprechend in vier Sätzen zusammenfassen:
- Der faire Spieler muss sich selbstverständlich an die Regeln halten;
- Er muss sein Bestes tun, das Spiel innerhalb der Regeln zu gewinnen;
- Er muss, um zu seiner Bestleistung herausgefordert zu werden, den bestmöglichen Gegner suchen und diesem Gegner jede Möglichkeit geben, seine Bestleistung hervorzubringen;
- Der faire Zuschauer muss unparteiisch sein.
Fair Play bedeutet also mehr, erheblich mehr, als nur die Regeln einzuhalten. Die englische „Freizeitschicht“ betrieb im wesentlichen den sportlichen Wettkampf als reinen Selbstzweck. Das Ergebnis war weniger wichtig als das gemeinsame sportliche Handeln, der Weg wichtiger als der Sieg. Diese Einstellung scheint nur so lange realisierbar wie der Sport Selbstzweck bleibt.
Dies ist insbesondere beim Vereinssport nicht der Fall. Untersuchungen über den Jugendfußball von Gunter A. Pilz (2000) zeigen, je länger die Jugendlichen im Verein aktiv sind, desto schwächer ausgeprägt ist ihr Fairnessverständnis im Sinne des ursprünglichen Fair Play, desto eher sind sie auch bereit, Regelverstöße im Interesse des Erfolges nicht nur zu akzeptieren, sondern auch nicht mehr als unfair zu bezeichnen. Im Laufe ihrer leistungssportlichen Entwicklung lernen Jugendliche, immer ausdrücklicher, das Gebot des Erfolges über das der Fairness zu stellen. So zeigt sich in den Befragungen, dass sich bereits bei jugendlichen Fußballspielern deren Verständnis vom Fair Play um so stärker vom klassischen Fair Play entfernt und einer Moral des „fairen Fouls“ Platz macht, je leistungs- und erfolgsorientierter sie sind. Fair Play entwickelt sich von einer Frage der Geisteshaltung zu einer Frage der Opportunität des Vergleichs von Kosten und Nutzen: In welcher Situation kann ich es mir erlauben, fair zu sein? Der Sport hat sich so an die Normen und Werte der ihn umgebenden Leistungsgesellschaft, genauer Erfolgsgesellschaft, angepasst. Wenn es stimmt, dass das Einhalten des Fair Play in erster Linie eine Frage des Abwägens von Kosten und Nutzen ist, dann müssen die Kosten für Unfairness und/oder der Nutzen für Fair Play so hoch gefahren werden, dass es sich nicht lohnt, unfair zu spielen.
Mädchen und Jungen
Hat bei Jugendlichen verschiedenen Geschlechts der Sport eine unterschiedliche Bedeutung?
Sport und Erfolg sind für Jungen in ihren Peergroups wesentlich wichtiger als für Mädchen. Mädchen sind besorgter um ihren Körper und neigen viel eher zu Schlankheitskuren und Diäten. Ihr Sporttreiben steht unter dem Schönheits- und Schlankheits-Diktat. Sie schätzen sich im Durchschnitt auch als unsportlicher ein als Jungen, und sie sind auch häufig mit ihrem Aussehen unzufrieden.
Schulsport motiviert Mädchen oft nicht in gleichem Maße wie Jungen. Es ist nicht selten schwer, weibliche Jugendliche für den Sportunterricht zu begeistern. Wo ist der Ausweg?
Man muss versuchen, allen Mädchen Erfolgserlebnisse zu verschaffen und nicht Frustation. Es muss auch nicht alles koedukativ sein. Jugendliche scheuen sich, Defizite vor dem anderen Geschlecht zu zeigen. Bei Mannschaftsspielen sitzen Mädchen oft auf der Bank.
Gertrud Pfister: Frauen-Diktat: schön und schlank. Interview von Klaus Vestewig. In: Süwestpresse, 3.7.2008.
Prof. Gertrud Pfister lehrt am Institut für Sportwissenschaften der Universität Kopenhagen.
Der Staat allein ... Gewaltausbrüche sind zunehmend Ausdruck ungebremster Selbstverwirklichung. Es sind nicht nur die jugendlichen Bildungsverlierer einer ökonomisch geprägten Gesellschaft, die in und vor Fußballstadien randalieren. Immer häufiger findet die Polizei unter den Krawallmachern Familienväter in sicherer Anstellung. Auch ärzte und Anwälte suchen in der Fußballrandale den ultimativen Kick am Wochenende. Es ist etwas faul im Staate. (...)
Der Staat allein kann den „Verfall der Sitten“ nicht stoppen. Weder können Lehrer und Kindergärtnerinnen einspringen und Eltern ersetzen, wenn diese als Erzieher ausfallen. Noch können härtere Gesetze das Loch füllen, das der schleichende Werteverlust gerissen hat. Steuergeld kann die Wunden nicht heilen, die Rentner durch Attacken Jugendlicher erleiden mussten. Der Staat allein wird scheitern. Staatliche Gewalt kann und darf ein ethisches Fundament nicht ersetzen.
Steffen Flath, CDU-Bildungsminister in Sachsen. In: Die Welt, 16.1.2008, S. 9.
Wir sind Vorbilder
„Das erste Wirkende ist das Sein des Erziehers, das zweite, was er tut, das dritte erst, was er redet.“ Romano Guardini (1874-1960)
Wird die Aussage Guardinis auf die Wirksamkeit und Chancen der Fairplay-Erziehung übertragen, dann scheinen Fairplay-Appelle und Lippenbekenntnisse der Lehrerinnen und Lehrer die geringste Aussicht auf Erfolg zu haben. Den größten erzieherischen Einfluss sollten hingegen diejenigen Lehrerinnen und Lehrer haben, die Fairplay als Haltung in ihr Leben integriert haben, so dass es an ihrer Art, wie sie Sport treiben, an der Art ihres Umgangs mit den Schülerinnen und Schülern und auch außerhalb der Schulen sicht- und spürbar wird. Ob sich die Lehrenden dessen bewusst sind oder nicht, ob sie es wollen oder nicht: Sie vermitteln den Schülerinnen und Schülern ihre bewussten oder unbewussten Werthaltungen schlicht durch ihr Da-Sein, durch die Art, wie sie vor ihnen dastehen, wie sie mit ihnen sprechen, ob sie Fouls übersehen oder ob sie nur die Begabtesten fördern oder ob sie auf den Umgangston achten und auch ängstliche ermutigen: Es gibt keine neutrale, keine wertfreie Erziehung!
Dorothea Luther/Arturo Holtz: Erziehung zu mehr Fairplay. Anregungen zum sozialen Lernen – im Sport, aber nicht nur dort. Bern u.a. 1998, S. 245.
Straßenfußball für Toleranz
Das Konzept „Straßenfußball für Toleranz“ (Jäger 2008, S. 132 ff.) hat seine Ursprünge in Kolumbien und wurde nach dem dortigen Erfolg (im kolumbianischen Medellín wurde unter anderem eine Senkung der Kriminalitätsrate in den Vierteln nachgewiesen, in denen das Projekt umgesetzt wurde) auch in Deutschland etabliert. Durch ein spezifisches neues Regelwerk sollen eingefahrene Verhaltensweisen (zum Beispiel Macho-Verhalten, Gewaltbereitschaft, Disziplinlosigkeit) überwunden und der konstruktive Umgang mit Konfliktsituationen erlernt werden.
Sport ist Spiel Wir treiben Sport nicht zu einem anderen Zweck, den wir damit als wichtiger anerkennen, sondern um seiner selbst willen. Aristoteles nannte das „Glück“.
Das, was man sich aus dem Sport weiterhin und positiv erhofft, darf nicht zum Ziel des Handelns werden. Sport muss Spiel bleiben.
Sven Güldenpfennig
Das Regelwerk hat vier zentrale Punkte:
- Es wird nur in geschlechtlich gemischten Teams gespielt. Tore, die von Jungen geschossen werden, werden erst dann gewertet werden, wenn auch ein Treffer von einem Mädchen erzielt worden ist.
- Die Teams vereinbaren vor dem Spiels gemeinsam drei Fair-PlayRegeln (z. B. „Wir verzichten auf Schimpfwörter“ oder „Wir helfen uns gegenseitig wieder auf die Beine“).
- Es wird auf den Schiedsrichter verzichtet. Dafür gibt es Teamer, die in der Regel nicht in das Spiel eingreifen, sondern vor allem die Einhaltung der Fair-Play-Regeln beobachten und den Teams helfen, das eigene Fair-Play-Verhalten und das des Gegners nach Ende des Spiels zu bewerten.
- Neben den geschossenen Toren zählen auch Fair-Play-Punkte, deren Aufteilung die Teams nach dem Spiel diskutieren und vereinbaren.
Vor allem das Mitspielen von Mädchen wirkt sich äußerst positiv aus: „Wenn Mädchen mitspielen, wird ganz offensichtlich regelbewusster, fairer, rücksichtsvoller und vor allem weniger aggressiv und ‚brutal‘ gespielt“ (Borkovic/Baur 2004, S. 20).
Dieser ungewöhnliche Grundansatz hat sich als sehr flexibel erwiesen und wird inzwischen in vielen Schulen, aber auch darüberhinaus praktiziert (Jäger 2007). Denn dieses Lernarrangement bietet alltagsnahe Zugänge zu Fragen des Globalen Lernens und der Gewaltprävention.
Die Philosophie von Straßenfußball für Toleranz
- Integration: Menschen werden nicht ausgegrenzt, weil sie „anders“ sind. Unterschiedliche Meinungen, Nationalitäten, Hautfarben oder Kulturzugehörigkeiten sind Teil der Vielfalt.
- Gleichberechtigung: Mädchen werden nicht diskriminiert, weil sie manchmal anders Fußball spielen als Jungen oder einfach nur, weil sie Mädchen sind.
- Gewaltfreiheit: Gewalt darf weder auf dem Spielfeld noch im Alltag akzeptiert werden. Es gibt andere Möglichkeiten, um mit Stress und Konkurrenz, Konflikten und Problemen umzugehen.
Spass am Spiel und Lebensfreude: Im Vordergrund steht der Spaß und die Freude am gemeinsamen Spiel. Siege werden nicht auf Kosten anderer zelebriert, Niederlagen gemeinsam getragen.
Vgl. Kick Fair/ Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. (Hrsg.): Straßenfußball für Toleranz. Tübingen 2006, S. 4.
Die Problembereiche von Jugendfußball
- Beleidigungen auf dem Spielfeld;
- Gewalt gegen Schiedrichter, während oder nach dem Spiel;
- Tätlichkeiten von Spielern;
- Schlägereien von Spielern während und nach dem Spiel;
- Schlägereien von Zuschauern (Vätern);
- Anheizen von schwierigen Situationen durch die Trainer und Betreuer;
- Es geht nicht um das sportliche Gewinnen, sondern um die Niederlage des Gegners um jeden Preis.
Fußball und Mediation
Ein spannender und erfolgreicher Ansatz der Gewaltprävention im (Jugend-)Fußball stellt die Mediation dar (Jäger 2008, S. 66 ff.). Für die gezielte Anwendung von Vermittlungstechniken und -verfahren gibt es im Fußballalltag genügend Anlässe. Beschimpfungen und Tätlichkeiten gegenüber Spielern der anderen Mannschaft oder den Schiedsrichtern sind heute keine Ausnahme mehr. In den meisten Fällen können Trainer, Betreuer oder die Jugendlichen selbst ihre Konflikte auf und neben dem Fußballplatz lösen. Doch dies gelingt nicht immer. Die Sportjugend Hessen hat in Kooperation mit dem Landessportbund Hessen und dem hessischen Fußballverband das Projekt „Interkulturelle Konfliktvermittlung/Mediation“ initiiert. Um Konflikte zu schlichten, besuchen vom Projekt ausgebildete Fußballmediatoren („Vermittler“) die Mannschaften und erarbeiten Regeln, wie man sich bei künftigen Spielen verhalten will. Ziel ist die Gewährleistung eines friedlichen Rückspiels (vgl. (Wiesbadener Kurier, 19.3.2007).
Bereits 1998 beschlossen der Hessische Fußballverband (HFV) und die Sportjugend Hessen, sich nicht mehr länger mit reaktiven Aktionen und kurzfristig medienwirksamen Aufrufen zufrieden zu geben, wenn es um die Auseinandersetzung mit so ernsten Problemen wie Fremdenfeindlichkeit, zerstörerischen Konfliktpotenzialen und wachsender Gewaltbereitschaft geht. Gemeinsam suchten sie nach einem systematischen Programm mit nachhaltigen Qualifizierungs- und Handlungsmöglichkeiten und fanden die systemische Mediation und des am bekannten „Harvard-Modell“ orientierte Konfliktmanagement. Innerhalb von acht Jahren entstand ein bundesweit anerkanntes Modellprojekt (vgl. Ribler/Pulter 2006).
Als Ziele werden genannt:
- Formen konstruktiver Konfliktbearbeitung im Fußball zu entwickeln und in den Sportvereinen zu verankern.
- Zusätzliche Formen der Vermittlung und Schadenswiedergutmachung im Rechtswesen des Hessischen Fußball Verbandes (HFV) zu erproben und zu verankern. Die Einführung von mediativen Verfahren und Techniken wird als Ergänzung, nicht als Ersatz oder Konkurrenz zum bestehenden Rechtswesen betrachtet.
- Angebote zur Entwicklung sozialer und interkultureller Kompetenz, Umgang mit und Vermittlung in Konflikten für die Aus- und Fortbildung des HFV zu entwickeln und zu verankern.
Die in den Kursen und Mediationen erarbeiteten konkreten Vereinbarungen zum Umgang miteinander, mit dem sportlichen Gegner, mit dem Trainer, mit den Eltern etc. leisten hier die notwendige Konkretisierung und die übernahme der Verantwortung für das jeweils eigene Handeln.
„Auf der organisationalen Ebene ist die Ausbildung der systeminternen Fußball- und Handballmediator/innen als ein wesentliches Moment der nachhaltigen Implementierung eines konstruktiven Konfliktmanagements zu sehen. Allerdings können diese Personen nur wirken, wenn man sie vor Ort in den Kreisen und bei den Vereinen akzeptiert und in ihrer Funktion nutzt“ (Ribler/Pulter 2006, S. 112 f.).
Insgesamt ist es wichtig, bei der Einführung von Mediations- und Gewaltpräventionsmodellen alle Beteiligten zu erreichen und mit einzubeziehen. Dabei kommt es in erster Linie darauf an, die notwendige Akzeptanz für konstruktive Formen der Konfliktbearbeitung bei Funktionären ebenso zu erhöhen wie bei den Trainern, Spielern oder bei den Eltern (vgl. Wiesbadener Kurier, 19.3.2007).