Wirksamkeit

Zur Frage nach der Wirksamkeit einzelner Programme liegen immer noch nur unzureichende Forschungsergebnisse vor. Raabe und Beelmann (2011, S. 101) bilanzieren ihre Forschung über vorfindbare Programme so: „Eine umfangreiche Evidenzbasierung dieser Maßnahmen steht noch aus. Die teilweise ernüchternden Ergebnisse machen aber zugleich klar, dass durchschlagende Erfolge oder eine maximal erfolgreiche Prävention in diesem Bereich nur sehr schwer zu erreichen sind, selbst wenn die Maßnahmen konsequent vor dem Hintergrund empirisch fundierter Entwicklungsmodelle konstruiert wurden.“

Gewaltpräventionsprogramme für Vorschule und KindergartenAndreas Schick (2010, S. 135 ff.) beantwortet vor dem Hintergrund seiner Studie über evaluierte und praxiserprobte Konzepte für Schulen die Frage nach der Effektivität so: „Für das Gros der deutschsprachigen Gewaltpräventionsprogramme für Schulklassen liegen bislang allerdings nur Pilotstudien, meist von den Programmentwicklern, vor oder sie wurden noch gar nicht evaluiert. (...) Im Schnitt sind die gefundenen Effekte allerdings eher klein bis moderat. (...) Ungeklärt ist allerdings, ob die gefundenen positiven Effekte der beschriebenen Präventionsansätze auch langfristig erhalten bleiben und generalisiert werden.“ Dies dürfte auch für den vorschulischen Bereich gelten.

Die Forschung würde zeigen, so Friedrich Lösel (2012, S. 13) und Winfried Schubarth (2010, S. 182 ff.), dass entwicklungsbezogene Prävention insgesamt wirksam sei. Die Effekte gegenüber Kontrollgruppen seien jedoch überwiegend moderat.

Verschiedene Studien zeigen auch, dass die durch Programme erreichten Verhaltensänderungen oft nicht lange anhalten; sie sind häufig nach einigen Monaten nicht mehr nachweisbar. Programme allein können also – so wichtig sie sind – keine überdauernden Effekte bewirken. Friedrich Lösel (2012, S. 14) folgert deshalb, dass kein dringlicher Bedarf an neuen Präventionsprogrammen bestehe, sondern die empirisch am besten fundierten in¬ und ausländischen Programme systematisch weiterentwickelt werden sollten, und Winfried Schubarth (2010, S. 197) ergänzt mit Blick auf die Schule: „Die beste Gewalt-prävention ist noch immer ein aktiver Schulentwicklungsprozess oder umgekehrt: Eine ‚gute, demokratische Schule‘ ist die beste Gewalt-prävention.“

Präventionsansatz für Vorschule und Kindergarten

Die Wirksamkeit
„Eine Vielzahl einzelner Evaluationsstudien und verschiedene Metaanalysen belegen die Wirksamkeit kindzentrierter Präventionsprogramme und von Programmen zur Förderung der elterlichen Erziehungskompetenz. Besonders effektiv scheint es zu sein, wenn kind- und elternzentrierte Präventionsmaßnahmen kombiniert werden. Derartige Mehr-Ebenen-Konzepte haben sich im deutschsprachigen Raum allerdings noch nicht etabliert und die diesbezügliche Evaluationsforschung ist noch in den Anfängen begriffen.“ (Schick 2010, S. 135)v

Grüne Liste Prävention
Um mehr Transparenz und Sicherheit im Umgang mit Gewaltpräventionsprogrammen zu ermöglichen, hat der Landespräventionsrat Niedersachsen eine webbasierte und laufend ergänzte „Grüne Liste Prävention“ erstellt. Dort werden die verfügbaren Präventionsprogramme entsprechend dem in Evaluationsstudien festgestellten Grad ihrer Wirksamkeit in drei Kategorien eingeteilt (zum Folgenden: www. gruene­liste­praevention.de):

  • In Stufe 3 „Effektivität nachgewiesen“ werden nur die Programme eingeordnet, deren Evaluationsstudien den höchsten Standards einer Wirksamkeitsmessung entsprechen und dementsprechend eine hin-reichende bis sehr starke Beweiskraft haben.

    Die vorliegenden Studien haben eine Zuweisung der Teilnehmer in die Kontroll- oder Interventionsbedingung nach dem Zufallsprinzip vorgenommen, oder es handelt sich um gut kontrollierte „Quasi­Experimente“. Eine ausreichend große Anzahl an Interventions­ und Vergleichsgruppen und Teilnehmern wurde gewählt. Eine „follow-up“­Messung mit positiven Ergebnissen wurde mindestens sechs Monate nach dem Ende der Maßnahme durchgeführt.

  • In Stufe 2 „Effektivität wahrscheinlich“ wird ein Programm ein-geordnet, dessen Evaluationsstudie(n) positive Ergebnisse gezeigt haben und die so angelegt sind, dass sie mehr als bloße Hinweise auf die Wirksamkeit geben.

    Eine in diesem Sinne „vorläufige“ oder „schwache“ Beweiskraft haben Studien, die mit Kontrollgruppen arbeiten (dies können auch vor der Untersuchung bekannte Vergleichswerte im Sinne einer „Benchmark­Studie“ sein).

    Was die Studien in dieser zweiten Stufe nicht haben, ist eine Messung, ob die Effekte auch nach Abschluss der Maßnahme anhalten („follow­up“). Auch eine Kontrollgruppenuntersuchung mit sehr wenigen Teilnehmern, die wenig Aufschluss über die Verallgemeinerbarkeit gibt, wird hier eingeordnet.

  • In Stufe 1 „Effektivität theoretisch gut begründet“ wird ein Pro-gramm eingeordnet, dessen Konzept bestimmte Kriterien erfüllt, dessen Evaluationsstudie(n) aber noch keine Beweiskraft über die Wirksamkeit haben.
    Es handelt sich z. B. um Prozessevaluationen, die allein die Qualität der Umsetzung betrachten oder um Ergebnismessungen ohne die Untersuchung von vergleichbaren Personen, die an der Maßnahme nicht teilnehmen. Ohne solche Vergleichs¬ oder Kontrollgruppen bleibt aber unklar, ob die Veränderungen nicht auch ohne die Maßnahme eingetreten wären.

 

Anforderungen an Programme
Programme sollten ...

  • klare Ziele und Vorgehensweisen haben.
  • auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen. Das Vorgehen und die erwarteten Ergebnisse sollten begründet sein.
  • sich am Modell der Risiko¬ und Schutzfaktoren orientieren.
  • auf mehreren Ebenen ansetzen.
  • nicht isoliert und einmalig durchgeführt werden, sondern im Verbund und mit wiederkehrenden Maßnahmen arbeiten.
  • über längere Zeiträume eingesetzt werden.
  • klar strukturiert sein und Verhaltenskompetenzen trainieren.
  • zielgruppenspezifisch ausgerichtet sein.
  • die Eltern aktiv einbeziehen.
  • entsprechend den Vorgaben der Entwickler umgesetzt werden.
  • wenn möglich, wissenschaftlich begleitet werden.
  • mit anderen Angeboten vernetzt sein.
  • evaluiert und schriftlich dokumentiert sein.

(Vgl. Raabe/Beelmann 2011, S. 101 ff.; Scheithauer/Rosenbach 2012, S. 103 f.)

 

Lockerer Zusammenhang
„Der Zusammenhang zwischen praktischem Handeln bzw. Setting einerseits und dem Ziel der Verhinderung von Gewalt und Delin­quenz andererseits ist eher locker geknüpft, wobei die Ziele eher allgemeiner, häufig programmatischer Art sind und nicht selten sehr hoch gehängt werden. Die Erfolgsmessung auf der Basis der formulierten Zielvorstellung empfiehlt sich üblicherweise nicht, weil erstens die meisten Projekte angesichts der selbst formulierten, sehr weitgehenden Ansprüche schlicht durchfallen würden und weil zweitens – und das ist gravierender – niemand in der Lage ist, die beobachteten Effekte auf ein einigermaßen identifizierbares und nachvollziehbares Arbeits-programm zuzurechnen.“ (Lüders 2010, S. 129)

Präventionsprogramme gegen Gewalt in Kindergärten

Implementierung von Programmen
Damit ein Programm gelingen kann, muss es auch richtig, d.h. entsprechend den Vorgaben der Entwickler, umgesetzt werden. Ungenügende Umsetzung kann ein entscheidender Faktor für die fehlende Wirksamkeit einer Präventionsmaßnahme sein (Fingerle/Grumm 2012). Dusenbury u.a. (2003) unterscheiden fünf Aspekte der Umsetzungs-qualität (zitiert nach Eisner u.a. 2009, S. 9):

  • Programmtreue: Dies bedeutet, dass die Inhalte entsprechend der Vorgaben der Entwickler vermittelt werden. Die Chancen auf Wirkungen sind höher, wenn eine hohe Umsetzungstreue erreicht wird.

  • Dosis: Das Programm sollte nicht in Teilbereichen, sondern vollständig implementiert werden.

  • Vermittlungsqualität: Die Inhalte sollten mit Engagement und Professionalität vermittelt werden. Erfolgreiche Programme werden in der Regel von gut ausgebildeten, motivierten und hinreichend betreuten Fachpersonen vermittelt.

  • Aufnahmebereitschaft: Die Teilnehmenden fühlen sich von dem Programm angesprochen. Sie werden zu einer aktiven Teilnahme motiviert und machen sich dessen Inhalte zu eigen.

  • Programmdifferenzierung: Dieser Bereich bezeichnet den Grad, in dem sich ein Programm von anderen Maßnahmen abgrenzt und unverwässert vermittelt wird. Programme, die klar strukturiert sind und spezifische Ziele haben, zeigen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit messbare Effekte.

Mit einer der Gründe für mangelnde Effekte kann auch eine eher technologische Implementation von Programmen sein. Bei der Suche nach schnell wirksamen Maßnahmen in akuten Problemsituationen ist immer wieder zu beobachten, dass Programme und Projekte eher technologisch um¬ und eingesetzt werden, ohne dass die entsprechenden Rahmen-bedingungen oder die notwendige pädagogische Grundhaltung vorhanden wären. Wenn grundlegende Voraussetzungen des pädagogischen Umgangs, der Gesprächsführung, der Gruppenführung und des Umgangs mit Konflikten nicht vorhanden sind, können auch Gewaltpräventionsprogramme nur wenig bewirken.

Ergebnisse der Präventionsforschung weisen ferner darauf hin, dass für die gelingende Umsetzung von Programmen und deren Erfolg stark das Engagement des Fachpersonals, aber auch die Rahmenbedingungen entscheidend sind. Zu dem „Was“ der Inhalte muss also das „Wie“ der Umsetzung hinzukommen (vgl. Raabe/Beelmann 2011, S. 103).

 

Experten schätzen für den Vorschulbereich folgende Maßnahmen als besonders wirkungsvoll ein:

  • Programme zur Frühintervention (frühe Unterstützung gefährdeter Familien, „Frühe Hilfen“)
  • Gewaltpräventionsprogramme, um soziale und emotionale Kompetenzen zu fördern
  • Programme zur Förderung elterlicher Kompetenzen
  • Programme, die die sozialräumliche Entwicklung im Blick haben.

Als ungeeignet und unwirksam werden folgende Maßnahmen benannt:

  • kurzfristige Maßnahmen als Reaktion auf besondere Ereignisse
  • Maßnahmen ohne eine ausreichende konzeptionelle Basis
  • Maßnahmen einzelner Einrichtungen ohne systemische, kooperative Perspektive
  • Medienkampagnen, die skandalisieren und das Einhalten von Normen einfordern
  • Maßnahmen, die auf Abschreckung und Bestrafung ausgerichtet sind.

(Gärgen 2013, S. 24 f.)

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