Wer in der Praxis Gewaltprävention betreibt, trifft bewusst oder unbewusst eine Vielzahl von (Vor-) Entscheidungen, die letztlich über die Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen entscheiden.
Was soll unter Gewaltprävention verstanden werden?
Prävention bedeutet, durch Vorbeugen spätere Kosten zu verhindern. Dies will auch Gewaltprävention: Durch rechtzeitiges Handeln Gewalt vermeiden. Über diese allgemeine Absichtserklärung hinaus gibt es jedoch keine anerkannte Definition, was unter Gewaltprävention genau zu verstehen ist und wie Vorbeugung zu geschehen hat, obwohl der Begriff ständig in vielfältigen Zusammenhängen verwendet wird. Der Hinweis auf Gewaltprävention dient der Handlungslegitimation („Im Dienste der öffentlichen Sicherheit.“), der Forderung nach Ressourcen („Hier ist finanzielle Förderung dringend geboten.“), aber auch der Produktion von Konsens („Wir müssen alle kooperieren, denn wer ist nicht gegen Gewalt?“). Der Begriff wird für verschie¬dene Zwecke vereinnahmt und instrumentalisiert.
Zum Verständnis von Gewaltprävention„
Gewaltprävention zielt auf die direkte oder indirekte Beeinflussung von Personen bzw. Situationen, um das Risiko zu vermindern, dass Gewalttaten begangen und Menschen Täter oder Opfer von Gewalt werden.“ (Scheithauer u.a. 2012, S. 80)„ Gewaltprävention ist das reflektierte und absichtsvolle Handeln von Fachkräften (...) sowohl als fachlich begründete individuelle Interventionen wie als Handlungskonzepte von Einrichtungen mit verschiedenen Kooperationspartnern.“ (Sommerfeld 2008, S. 82)
Ist die Absicht oder die Wirkung entscheidend?
Im Alltagsverständnis werden unter Gewaltprävention alle spezifischen und unspezifischen Handlungen verstanden, die die Absicht haben, Gewalt verhindern zu wollen. Gewaltprävention definiert sich dabei als Ziel bzw. als Absichtserklärung über das Wollen und das Vorhaben.
Die Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalprävention am Deutschen Jugendinstitut in München (2007) schlägt ein engeres Verständnis von Gewaltprävention vor: Es sollten nur diejenigen Maßnahmen als Gewaltprävention bezeichnet werden, die nachweislich auch Wirkung zeigen. Die Absicht allein, der Gewalt entgegenzuwirken, reiche nicht aus. Hier wird Gewaltprävention unter dem Wirkungsaspekt gesehen und deshalb auch vorgeschlagen, von „wirkungsbasierter Gewaltprävention“ zu sprechen.
Die Frage ist hier also, was wissen wir jeweils über die Wirkung der durchgeführten Maßnahmen und wie lässt sich Wirkung messen, wenn es um Ereignisse geht, die nicht eintreten sollen?
Ordnungspolitisch oder pädagogisch?
Unter dem Aspekt der prinzipiellen Vorgehensweise lassen sich eher ordnungspolitisch und eher pädagogisch orientierte Ansätze unterscheiden. Durch Disziplinar- und Ordnungsmaßnahmen Verhaltensprobleme in den Griff zu bekommen, stellt auch heute noch eine gängige pädagogische Praxis dar (Bueb 2008). Doch alle Untersuchungen weisen auf die Untauglichkeit dieser Mittel hin (Brumlik 2007). Primär sicherheits- und ordnungsorientierte Ansätze, die auf Kontrolle, Sanktionen und Strafen setzen, sind nicht nur nicht erfolgversprechend, sie sind geradezu kontraproduktiv, da sie die Probleme, die sie verhindern wollen, erst erzeugen.
Es kann bei Gewaltprävention nicht um die Herstellung absoluter physischer Sicherheit mit allen Mitteln gehen – ein Versprechen das nicht einlösbar ist –, sondern um die Bedingungen, für ein gewaltfreies Miteinander. Die Entwicklung eines Sicherheitsgefühls basiert auf gemeinsam erarbeiteten Regeln, auf Verlässlichkeit und vertrauensvollen Beziehungen.
Webcams in der Kita
„Bei meiner Suche war ich auch bei einer Krippe, die Videoüberwachung anbietet. Das heißt, die Eltern können ihr Kind von zu Hause aus per Computer ansehen, was es macht, wie es ihm geht. Nur Bild, kein Ton. Zugang würden nur die Eltern haben und es wäre ein Live-Stream, nichts würde aufgezeichnet und gespeichert werden.“ (Forumsbeitrag im Onlineportal www.kigaportal.com, Auszug)
Kinder: Täter oder Opfer?
Folgt man der öffentlichen Debatte um Gewaltprävention, so ist immer wieder festzustellen, dass Kinder (und vor allem Jugendliche) primär als (potenzielle) Täter gesehen werden. Gewaltprävention bedeutet in diesem Verständnis, die anderen („die Gesellschaft“) vor der Gewalt dieser Kinder und Jugendlichen zu schützen.
Diese Sichtweise ist nicht nur negativ und defizitorientiert, sondern auch falsch. Denn Kinder und Jugendliche sind nicht primär Täter, sondern in einem viel höheren Maße Opfer von (familiärer und anderer) Gewalt. Mit dieser Opfererfahrung verbunden, steigt das Risiko, selbst wiederum Täter zu werden (Baier/Pfeiffer 2009, S. 67).
Die Opferorganisation WEISSER RING formuliert hier unmissverständlich: Kinder sind immer Opfer. Auch in der Täterschaft sind Kinder Opfer. Gewaltprävention muss deshalb zuallererst heißen, Kinder (und Jugendliche) vor der Gewalt der anderen, der Erwachsenen in der Familie und in der Gesellschaft zu schützen. Nicht die Gesellschaft, sondern Kinder und Jugendliche sind die Schwachen, die es zu beschützen gilt. Dies wird u.a. in der UNO-Kinderrechtskonvention kompromisslos eingefordert und als gemeinsames Verständnis von Gewaltprävention bei der UNESCO und der Weltgesundheitsorganisation angewendet.
Kinder: Subjekte oder Objekte?
Kinder können sehr unterschiedlich wahrgenommen werden – als potenzielle Problemträger ebenso wie als Hoffnungsträger für zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen. Immer häufiger haben wir es mit der Gefahr der Institutionalisierung von Kindheit, mit der Pädagogisierung und Vereinnahmung des Vorschulbereichs für andere Interessen zu tun (vgl. Honig 2011).
Kinder gehören weder den Eltern noch dem Staat. Sie sind eigenständige Individuen und damit auch Träger von eigenen Rechten und Ansprüchen. Aber sie sind, da sie noch nicht selbständig und eigenverantwortlich leben können, auf die Fürsorge, Unterstützung und Begleitung ihrer Eltern oder anderer Erwachsener angewiesen. Sie benötigen Resonanz auf ihr Dasein, Zuwendung und Bindung ebenso wie Platz, sich zu entfalten und Grenzen, um zu wachsen. Gerald Hüther (2012, S. 15) betont, dass Kinder nicht nur die Fähigkeit haben, ständig Neues hinzuzulernen, sondern auch diese Lust, immer wieder Neues zu entdecken, mit auf die Welt bringen. Sie sind dabei aber auf die Resonanz und Unterstützung der Erwachsenen angewiesen.
Kinder im Vorschulbereich sind keine homogene Gruppe. Sie sind in ihrem Entwicklungsstand, ihren sozialen Fähigkeiten, ihren Herkunftsfamilien, in ihren sozialen Milieus und ihrem kulturellen Hintergrund sehr unterschiedlich.
Kinder sind ...
- Kinder sind aktive Lerner.
- Kinder konstruieren Wissen und Bedeutung.
- Kinder lernen in sozialen Zusammenhängen.
- Kinder lernen durch spielerische Aktivität und aktives Spiel.
- Emotionale Sicherheit und Zuwendung bieten die Basis für kindliche Lernprozesse und die Entwicklung des Selbst.
- Kinder lernen durch Teil-habe und Aushandlung.
- Kinder haben das Recht auf Anerkennung ihrer Individualität.
(Dietrich u.a. 2007)
Verhalten und die Verhältnisse
Gewaltprävention, wie sie im vorschulischen Kontext verstanden und diskutiert wird, bezieht sich vor allem auf den primärpräventiven Bereich und dort auf die Verhaltensbeeinflussung (vgl. Schick 2010). Zu wenig zielen diese Präventionsprogramme auf die Einbeziehung und Beeinflussung der Lebenswelt und des Umfeldes, also auf Verhältnisse, die das auffällige Verhalten oft (mit-)bedingen.
Gewaltprävention muss also neben einer individuellen Dimension, die vor allem das Verhalten im Blick hat, auch eine institutionelle Dimension umfassen, die die Verhältnisse, die dieses Verhalten (mit-) bedingen, berücksichtigt. Sie muss darüber hinaus auch eine kulturelle, gesellschaftliche und politische Dimension beinhalten, die die Legitimations- und Bedingungsebenen dieser Verhältnisse einbezieht. Mit dem Instrument der „Frühen Hilfen“ im Kontext von Kindeswohl-gefährdungen wurde im Vorschulbereich ein Schritt in diese Richtung unternommen.
Einzelprogramme und/oder ganzheitliche Ansätze
Für die Praxis der Gewaltprävention wurden inzwischen für Kinder und Eltern eine Reihe von Präventionsprogrammen entwickelt, die meist spezifische Aspekte des sozialen Lernens und der Verhaltens-kontrolle fördern sollen. Solche Programme sind für die Fachkräfte entlastend, da sie klar strukturierte Vorgaben machen, wie sie anzuwenden sind und von denen, wenn es sich um standardisierte und evaluierte Programme handelt, auch eine Wirkung zu erwarten ist. Diese Programme dürfen jedoch nicht für sich allein stehen, sondern müssen auf ein Umfeld treffen, das die Weiterentwicklung einer guten pädagogischen Praxis zum Ziel hat. Beide Zugänge ergänzen sich und sind aufeinander bezogen.
Das Verständnis von Gewalt
Da Gewalt weder ignoriert noch geduldet werden darf, ist es für eine gelingende Gewaltprävention unumgänglich, über einen präzisen Gewaltbegriff zu verfügen. Was unter Gewalt genau zu verstehen ist, ist jedoch weder in der Wissenschaft noch in der Politik geklärt und wird auch im Bereich der Vorschule kaum ausgewiesen oder diskutiert.
Insbesondere, ob der Begriff Gewalt für das Verhalten von Kindern im Vorschulbereich überhaupt angemessen ist oder ob nicht besser je nach Situation von „kindlich-aggressivem Verhalten“ oder „auffälligem“ oder „störendem Verhalten“ gesprochen werden sollte. Umgangssprachlich wird Gewalt mit Schädigung und Verletzung von Personen und Sachen in Verbindung gebracht, wobei die Begriffe Aggression und Gewalt häufig synonym verwendet werden, obwohl sie von ihrem Bedeutungsgehalt her Unterschiedliches bezeichnen. So unterscheidet Erich Fromm (1977) z. B. zwischen konstruktiver und destruktiver Aggression.
Unter Gewalt werden heute vor allem die Phänomene körperliche und verbale Gewalt sowie Mobbing diskutiert. Kinder, Jugendliche, Eltern und Fachkräfte verstehen unter Gewalt sehr verschiedene Dinge, zumal Kinder diesen Begriff nicht gebrauchen, sondern Verhalten eher gezielt beschreiben („Der hat mir weh getan.“). Im vorschulischen wie im schulischen Kontext wird der Begriff Gewalt eher unspezifisch, unscharf und inflationär verwendet. Verhaltensprobleme und Auf-fälligkeiten werden als Gewalt bezeichnet und damit letztlich auf die gleiche Stufe gestellt wie körperliche Angriffe oder Vandalismus.
Einen Vorgang als Gewalt zu benennen, heißt jedoch, eine Anklage zu formulieren und die Schuldfrage zu moralisieren, um dadurch Handlungsdruck zu erzeugen, meint Friedhelm Neidhard (1986, S. 140).
Um Gewalt sinnvoll fassen zu können, ist nicht nur die Tat als solche, sondern vor allem die Frage nach der Motivation und Intention sowie ihr Kontext zu berücksichtigen. Die beabsichtigte Gewaltausübung mit dem Ziel der Verletzung des anderen muss anders bewertet werden als Handlungen, die zwar Gewalt verursacht haben, die aber nicht intendiert war.
Der Fokus des Gewaltbegriffs ist häufig kindbezogen und hat Eltern-gewalt oder Gewalt durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen wenig im Blickfeld. Auch der gesamte Bereich der Auto-aggression, also Selbstverletzungen, wird kaum miteinbezogen.
Es geht also darum, das eigene Gewaltverständnis zu klären. Dabei taucht die Schwierigkeit auf, dass Gewalt in unserer Gesellschaft nicht durchgängig tabuisiert, illegal und illegitim ist, es gibt auch die tolerierte, legale und die legitime Gewalt.
Das Ausmaß von Gewalt
Gewalterfahrungen in der Familie sind auch heute noch weit verbreitet. 50 % der Eltern in Deutschland wenden in der Erziehung immer noch Körperstrafen an, wenngleich nicht aus Überzeugung, sondern aus Hilflosigkeit. Im ersten Lebensjahr sterben mehr Kinder an den Folgen von Vernachlässigung und Misshandlung als in jedem späteren Alter. Im Alter von 3–6 Jahren zeigen 15 % der Jungen und 10 % der Mädchen Verhaltensauffälligkeiten. Bei Kindern mit Migrationshintergrund verdoppeln sich diese Zahlen und bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozialen Status werden Verhaltensauffälligkeiten viermal so häufig festgestellt (BMFSFJ 2009, S. 89, 97).
Kaum untersucht ist das Gewaltverhalten (sei es in offener oder subtiler Form) von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern von pädagogischen Einrichtungen, obwohl dieses nicht unerheblich sein dürfte. Solches Verhalten ist strengstens verboten und dürfte eigentlich gar nicht vorkommen. Das Ausmaß der strukturellen Gewalt wird deutlich, wenn man etwa die Verbreitung der Kinderarmut in Deutschland zur Kenntnis nimmt, die ja nicht nur die materielle Dimension umfasst. Strukturelle Gewalt wird auch deutlich, wenn man die Ergebnisse der internationalen Bildungsforschung aufgreift, in denen regelmäßig der enge Zusammenhang zwischen der sozio-ökonomischen Herkunft der Schülerinnen und Schüler in Deutschland und ihrem Bildungserfolg festgestellt wird (OECD 2010).
Die Risikofaktoren für Gewalt kennen
Für die Entstehung von Gewalt können nicht einzelne Bedingungen (Risikofaktoren) verantwortlich gemacht werden, sondern eine Kumulation von Risiken führt zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von gewalttätigen Verhaltensmustern (Scheithauer 2012, S.72).
Die Risikofaktoren für Gewalt sind weitgehend bekannt und oft beschrieben: Zu ihnen gehören im persönlichen Umfeld u.a. das Erleben elterlicher Gewalt, Vernachlässigung, das Fehlen eines positiven Erziehungsstils im Elternhaus, der Konsum altersgefährdender Medien, der Kontakt mit delinquenten Freunden und gewaltakzeptierenden Männlichkeitsnormen (Baier u.a. 2010, S. 12).
Zu den institutionellen Risikofaktoren zählen ein schlechtes soziales Betriebsklima, schlechte Qualität der Beziehungen zwischen den Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern und Kindern, mangelnde pädagogische Qualität in der Einrichtung, unzureichende Personalschlüssel, das Fehlen von Instrumenten der Konfliktbearbeitung, mangelnde individuelle Förderung, mangelnde Partizipationsformen oder ein schlechter Zustand der Gebäude und eine unzureichende Ausstattung.
Zu den gesellschaftlichen Risikofaktoren gehören Entwicklungen wie der ökonomische Wandel, die aktuelle Finanz- und Schulden-krise, verbunden mit dem Risiko der Marginalisierung und möglicher oder tatsächlicher Armut sowie sozialer Ausgrenzung. Damit korrespondieren fehlende Zukunftsperspektiven, die eng mit fehlenden Bildungsabschlüssen verbunden sind. Auch ein öffentliches Klima, das Gewalt nicht eindeutig verurteilt, gehört in diesen Kontext.
Der Zusammenhang zwischen mangelnden sprachlichen Fähigkeiten, schulischen Misserfolgen, fehlenden Bildungsabschlüssen und Gewalt ist gravierend und seit Langem bekannt.
Medieneinflüsse
Kinder leben heute in einer von Medien geprägten Welt. Der Umgang mit Medien ist schon für viele Kleinkinder selbstverständlich und gehört zum Alltag. Eine viel diskutierte Frage ist, ob bzw. welchen Einfluss Gewaltdarstellungen in Medien auf reales Gewaltverhalten haben. Gerade bei Kindern sind negative Auswirkungen des Konsums von Mediengewalt nicht auszuschließen. Einfache Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind jedoch nicht haltbar.
Jungen und Mädchen
Aggression und Gewalt sind Verhaltensweisen, die vor allem Männern zugeschrieben werden und die auch vor allem Männer treffen. Bei Jungen sind körperliche Audrucksformen von Aggression und Gewalt stärker verbreitet als bei Mädchen. Bei Mädchen kommt die indirekte und psychische Gewalt in der späten Kindheit häufiger vor als bei Jungen (Scheithauer u.a. 2012, S. 70). Im Bereich der Vorschule dürfen jedoch lautes und raumgreifendes Spielen von Jungen oder Raufen und „Körperspaß“ nicht mit gewalttätigem Verhalten verwechselt werden.
Über 90 % der Fachkräfte im Vorschulbereich sind Frauen. Dass hier so wenige Männer beschäftigt sind, hat wesentlich mit der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung dieses Berufsfeldes, der geringen Bezahlung und den fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten zu tun. Unter entwicklungspsychologischen Aspekten ist zu diskutieren, welche Folgen das weitgehende Fehlen männlicher Identifikationsfiguren für die Entwicklung der Geschlechteridentität (von Mädchen und Jungen) sowie des geschlechtsspezifischen Ausdrucksverhaltens haben kann. Bienek und Stoklossa (2007, S. 115) sehen die Abwesenheit von Männern sogar als ein Schlüsselproblem in diesem Bereich, das thematisiert werden müsse.
Die Gelingensbedingungen kennen
Die „Gelingensbedingungen“ für Gewaltprävention lassen sich heute immer deutlicher beschreiben. Zu ihnen zählen auf einer allgemeinen Ebene (vgl. Scheithauer 2012, S. 60 ff.):
- genaue Problemanalysen durchführen.
- früh beginnen
- auf mehreren Ebenen ansetzen
- Entwicklungsaufgaben und -übergänge berücksichtigen
- Peerorientierung unter Einbeziehung von Erwachsenen anstreben
- nur wissenschaftlich fundierte und evaluierte Maßnahmen einsetzen
- die eingesetzten Programme entsprechend ihrer Vorgaben imple¬mentieren
- protektive Faktoren aufgreifen und mit den Ressourcen der Kinder arbeiten
- über längere Zeiträume arbeiten
- vernetzt und im Verbund mit anderen Trägern (Polizei, Jugendhilfe) und anderen Einrichtungen arbeiten
- Evaluation und wissenschaftliche Begleitung anstreben.
- Diese Gelingensbedingungen lassen sich für pädagogische Einrichtungen noch präzisieren (vgl. Melzer 2006, S. 31 f.). Erforderlich sind:
- das Engagement, die Überzeugungskraft und die Durchsetzungsfähigkeit der Leitung der Einrichtung
- das gemeinsame, geschlossene Handeln des pädagogischen Personals, insbesondere bei Konflikt- bzw. Gewaltsituationen
- die Bereitschaft, bei Gewalt nicht wegzuschauen, sondern einzugreifen und pädagogisch angemessen zu reagieren
- ein positives Verhältnis des pädagogischen Personals zu den Kindern und Eltern, ein partnerschaftlicher und vertrauensvoller Umgang miteinander
- Vermeiden von Überreaktionen, Stigmatisierungen und Etikettierungen. Bloßstellende und verletzende Bemerkungen von Fachkräften gegenüber den Kindern sollten unterbleiben.
Frühe Kindheit
Ohne Zweifel werden in der frühen Kindheit die Weichen für das spätere Leben gestellt. Wie wir aus zahlreichen Studien wissen, „haben es Menschen, die in dieser Phase vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht werden, schwer, später stabile Beziehungen einzugehen, in der Schule Erfolg zu haben, gesund zu bleiben und gesellschaftlich erfolgreich zu sein. Ohne frühe positive Erfahrungen ist es auch kaum möglich, der nächsten Generation entsprechende Erfahrungen zu vermitteln. Probleme können sich also über Generationen fortpflanzen.“ (Pauen 2012, S. 11)
Das gesellschaftliche Umfeld im Blick haben
Gewaltprävention geschieht nicht im luftleeren Raum. Sie trifft auch auf gesellschaftliche Strömungen, Einstellungen und Haltungen, die es zu sehen und zu beantworten gilt und die quasi die Rahmenbedingungen für gewaltpräventives Handeln darstellen. Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer (2011) hat mit seiner Forschungsgruppe das Konzept der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ entwickelt und spezifische Einstellungen über den Zeitraum der letzten zehn Jahre jährlich erhoben.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bildet den Boden für die Legitimation von Gewalt gegen Schwächere. Heitmeyer diagnostiziert den Zustand der Deutschen wie folgt (Spiegel 20/2011, S. 71): „Die zunehmende soziale Spaltung zersetzt das Miteinander, die Gesellschaft ist vergiftet. Soziale Desintegration ist gefährlich, ins-besondere für schwache Gruppen. Erhebliche Teile denken, sie seien mehr wert als andere. Nur wer etwas leistet, wer nützlich ist, wer effizient ist, zählt etwas.“
Diese Ökonomisierung der Bewertung von Menschen sei unmenschlich, da Zuwanderer, Obdachlose, Langzeitarbeitslose, Behinderte usw. nach diesen Maßstäben weniger wert seien. Nicht die Jugendlichen, sondern die Älteren, die über 60-Jährigen, würden dabei besonders feindselige Einstellungen aufweisen. Das sei gefährlich, da die Einstellungen der älteren Generation sich in vielen Fällen auf die jungen Leute übertrage.