Problemfelder und Kritik

Verschiedene Fachleute stellen fest, dass sich Kindertageseinrichtungen mit der Stärkung und Formalisierung ihrer Präventivfunktionen in eine in sich widersprüchliche Position begeben würden. Das Bild vom Kind schwanke nun zwischen dem kompetenten, sich selbst bildenden Subjekt und dem des zu schützenden potenziellen Opfers.

Eltern würden jetzt einerseits zu potenziellen Verdächtigen, andererseits trügen sie aber als „Bildungspartner“ auf der Basis von Vertrauen gemeinsam Verantwortung für das Gelingen kindlicher Bildungsprozesse. Damit wirke, die in der Jugendhilfe vorfindbare Einheit von „Hilfe und Kontrolle“, auch in die Kitas hinein (vgl. Rabe-Kleberg/Damrow 2012, S.35).

Es gehe dabei um das Spannungsverhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Zwischen der Förderung von Kindern und Jugendlichen im Sinne des Kindeswohls durch geeignete Maßnahmen auf der einen Seite und einer notwendigen kontrollierenden Intervention bei konkretem Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung auf der anderen. Wobei die Förderung und Unterstützung der Familie im Vordergrund stehen sollte (vgl. Bundesjugendkuratorium 2007, S. 6).

Bei einem Konzept von Kinderschutz als Gefahrenabwehr seien Kinder als Akteure nicht vorgesehen, so Rabe-Kleberg und Damrow (2012, 39). Die Bildungsprozesse von Kindern fänden aber am nachhaltigsten auf der Basis von Konstruktions- und Partizipationsprozessen der Kinder statt. Im Paradigma des Kinderschutzes sei das Kind hauptsächlich Objekt, es werde als potenzielles Opfer konzipiert, das des Schutzes durch Erwachsene bedarf. Ressourcen und Potenziale der Kinder im Rahmen der Idee des Kinderschutzes würden so brach liegen. Kinder würden so im Kontext der gesellschaftlichen Machtdifferenz von Erwachsenen und Kindern weiterhin klein gehalten.
Damit sei unklar, ob und wie in Kindertageseinrichtungen der Kinderschutz in die traditionellen und originären, auch rechtlich kodifizierten Aufgaben der Bildung, Erziehung und Betreuung kleiner Kinder integriert werden könnte.

Jürgen Maywald (2011, S. 6) sieht insbesondere folgende Mängel in der Konzeption des staatlichen Kinderschutzes:

  • mangelnde Berücksichtigung des Themas Kinderschutz in den Ausbildungsgängen
  • kaum vorhandene Standardisierung der Handlungsabläufe bei Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung in den Einrichtungen
  • weitgehend fehlende Evaluation in diesem Bereich
  • unzureichende Vernetzung der Hilfen im Sozialraum
  • verbreitete Unterschätzung der Bedeutung von Kindertageseinrichtungen für Kinderschutz und frühe Hilfen
  • geringe Forschungstätigkeit.

Jungen
„Jungen werden häufiger und schwerer misshandelt als Mädchen. Die verbreitete und die Gewaltschutzpolitik leitende Auffassung, häusliche Gewalt sei ‚Männergewalt gegen Frauen und Kinder‘, führt dazu, dass diejenigen Kinder, die Opfer von Misshandlungen oder gar von sexuellem Missbrauch durch ihre Mütter werden, nicht im Fokus der Gewaltschutzpolitik sind. Gerade dies wäre aber im Hinblick auf die intergenerationelle Spirale der Gewalt von besonderer “Wichtigkeit.
(Bock 2004, S. 108)

 

Kritik am Kinderschutzgesetz
Zum 1.1.2012 trat in Deutschland das neue Kinderschutzgesetz in Kraft. Die Deutsche Kinderhilfe übte ebenso wie andere Expertinnen und Experten massive Kritik an diesem Gesetz. Die wesentlichen Kritikpunkte sind:

  • Weder wird geklärt, was unter „Kindeswohlgefährdung“ zu verstehen ist, noch, wann ein „weiteres Tätigwerden erforderlich“ ist.
  • Es gibt keinen Rechtsanspruch auf frühe Hilfen.
  • Es gibt keine einheitlichen Fach- und Qualitätsstandards.
  • Jugendhilfemaßnahmen werden nicht evaluiert.
  • Es gibt keine grundsätzliche Anzeigepflicht bei Verdachtsfällen.
  • Es gibt keine Vorschrift für obligatorische Hausbesuche.
  • Es gibt keine Verpflichtung für Vereine und freie Träger, von allen Mitarbeitern ein erweitertes Führungszeugnis einschließlich Vorstrafen bei Sexualdelikten zu verlangen.
  • Die Einführung von unabhängigen Beschwerdestellen (Ombudsmann) ist nicht vorgesehen.
  • Behinderte Kinder in Heimen werden systematisch benachteiligt, da es keine Vertragspflicht der Heimträger gibt, mit der Jugendhilfe zur Regelung des Kinderschutzes zusammenzuarbeiten.
  • Die Eingliederung des Gesundheitswesens in das Gesetz ist nicht genügend umgesetzt.

(vgl. Deutsche Kinderhilfe, Presseerklärung 22.11.2011; Fegert, 2011, S. 5)

 

Situationen, die in Tageseinrichtungen Anlass für eine Gefährdung geben?

  • Früh- und Spätschicht
  • Übernachtungen/ Mittagsschlaf
  • Wickeln/Toilettenbegleitung
  • Baden
  • Hygiene (Anziehen und Umziehen der Kinder)
  • 1-zu-1-Situationen im pädagogischen Alltag, z. B. beim körperlichen Kontakt zu den Kindern (Kinder sitzen auf dem Schoß, Kinder in den Arm nehmen, Kuscheln beim Vorlesen)
  • sehr große emotionale Nähe zu einzelnen Kindern
  • Fotografieren und Filmen.

(Landeshauptstadt Stuttgart, Jugendamt. 2013, S. 17)

Grenzverletzungen, Übergriffe, sexuelle Gewalt

  • Pädagogisch unangemessene Grenzverletzungen können im pädagogischen Alltag unabsichtlich geschehen. Häufig ist es Folge fachlicher und/oder persönlicher Unzulänglichkeiten von Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern oder unklarer Regeln und Strukturen. (...)
  • Übergriffe unterscheiden sich von solchem unbeabsichtigten Verhalten dadurch, dass sie eben nicht unabsichtlich passieren. Sie überschreiten die innere Abwehr und Schamgrenzen. Sie sind eine Form von Machtmissbrauch und Ausdruck einer respektlosen Haltung gegenüber Mädchen und Jungen. (...)
  • Die strafrechtlich relevanten Formen sexueller Gewalt sind im Strafgesetzbuch (STGB §§ 174–178) zusammengefasst. Sexuelle Handlungen werden dazu instrumentalisiert, um Gewalt und Macht in verbaler und/oder körperlicher Art auszuüben.

„Die Grenze bestimmt immer das Kind.“ Dieser Grundsatz bestimmt den Umgang mit Übergriffen und Grenzverletzungen.
(Landeshauptstadt Stuttgart, Jugendamt. 2013, S. 15 f.)

Ein Projekt von:

Wir stärken Dich e. V.
Gartenstraße 2 -
74372 Sersheim
Tel. 07042 32035

E-Mail: info(at)wir-staerken-dich.org
Internet: www.wir-staerken-dich.org

In Zusammenarbeit:

Berghof Foundation Operations GmbH
Lindenstraße 34 - 10969 Berlin
Telefon: +49 (30) 844 154-0
info[at]berghof-foundation[dot]org
Internet: www.berghof-foundation.org

Search

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.