Wer Gewalt vermeiden will, muss gut mit Konflikten umgehen können. Konstruktive Konfliktbearbeitung ist einer der wirksamsten Ansätze, um gewaltpräventiv tätig zu sein. Kinder brauchen Konflikte, um sich entwickeln zu können. Sie streiten um ihren Platz in der Gruppe, sie streiten, um Grenzen zu verteidigen oder um Spielgeräte nutzen zu können.
Konflikte lassen sich nicht vermeiden und dies wäre auch gar nicht sinnvoll. Denn durch Konflikte werden Probleme sichtbar und können so angegangen werden. Konflikte verdeutlichen, welche Positionen es gibt. Man lernt in Konflikten sich und andere besser kennen und man kann lernen, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen und Regeln zu formulieren. Konflikte sind so häufig Antrieb für Veränderungen. Doch Lernen durch Konflikte ist nur möglich, wenn diese konstruktiv ausgetragen werden. Ein guter Umgang mit Konflikten ist dabei nicht nur für Kinder wichtig, sondern ebenso für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die gesamte Einrichtung. „Konflikt“ kommt vom lateinischen Wort „confligere“, was so viel wie „zusammenprallen“ bedeutet. Bei einem Konflikt geht es also um Unvereinbarkeiten nicht nur von Zielen oder Interessen, sondern auch von „Denken, Fühlen und Wollen“, wie Friedrich Glasl (2011, S.24) ausführt.
Was sind Konflikte?
- In Wörterbüchern wird Konflikt mit „Zusammenstoß, Zwiespalt und Widerstreit“ beschrieben.
- Im Alltag werden Konflikte häufig gleichgesetzt mit Streit, mit Interessensgegensätzen, mit Macht- oder Gewaltanwendung.
- In der Konfliktforschung werden Konflikte als Unvereinbarkeiten im Denken, Fühlen und Wollen bezeichnet.
- Was als Konflikt bezeichnet wird, hängt von den gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen ab.
Konflikteskalation kennen und beenden
Konflikte kann man spüren, z. B. durch ein einengendes Körpergefühl oder gar Verkrampfungen. Konflikte kann man sehen, z. B. an der Körperhaltung der Beteiligten. Konflikte kann man hören, z. B. durch Lautstärke oder plötzliche Stille. Werden Konflikte bagatellisiert, verleugnet, mit Drohungen oder gar mit Gewalt ausgetragen, können sie eine eigene Dynamik entwickeln. Solche Konflikte eskalieren leicht und zeigen dann ihr zerstörerisches Potenzial.
„Konflikte beeinträchtigen unsere Wahrnehmungsfähigkeit und unser Denk¬ und Vorstellungsleben so sehr“, schreibt der Konfliktmanager Friedrich Glasl (2011), „dass wir im Laufe der Ereignisse die Dinge in uns und um uns herum nicht mehr richtig sehen. Es ist so, als würde sich unser Auge immer mehr trüben; unsere Sicht auf uns und die gegnerischen Menschen im Konflikt, auf die Probleme und Geschehnisse wird geschmälert, verzerrt und völlig einseitig. Unser Denk¬ und Vorstellungsleben folgt Zwängen, deren wir uns nicht hinreichend bewusst sind.“
Das eigentliche Problem von Konflikten liegt also in der permanenten Gefahr ihrer Eskalation, wenn bei ihrer Austragung immer mehr auf Macht¬ und Gewaltstrategien gesetzt wird. Der Konflikt wird so immer schwieriger zu steuern, bis er schließlich außer Kontrolle gerät, die Schwelle zur Gewalt überschreitet und damit Zerstörung und Leiden verursacht. Ein weiteres Zusammenleben wird so erschwert oder auf lange Zeit unmöglich gemacht.
Dies geschieht vor allem dann, wenn statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, der Konflikt als Kampf gesehen wird, bei dem es um Gewinnen oder Verlieren geht. Ein Konflikt wird so zu einem Nullsummenspiel, bei dem es nur Sieger oder Verlierer gibt. Bei diesem Eskalationsprozess spielen Emotionen wie Ärger und Ängste eine große Rolle. Der Gegner wird nicht mehr als Mensch gesehen, sondern als Feind, den es zu bekämpfen gilt. Die Lösung der eigentlichen Streitfrage gerät immer mehr aus dem eigenen Blickfeld. Um dies zu vermeiden, ist es wichtig, Konflikte zu verstehen und Möglichkeiten des konstruktiven Umgangs mit Konflikten zu kennen.
Werden Konflikte nicht als Bedrohung, sondern als Chance wahrgenommen, so wird der Gegner als Person akzeptiert und in seinen Interessen zunächst anerkannt. Es werden gemeinsame Lösungen gesucht. Verzicht auf Gewalt ist selbstverständlich, und die Wahrung von Würde und Identität aller Beteiligten ist die Basis für das weitere Zusammenleben.
Konstruktive Konfliktbearbeitung im Vorschulbereich stellt eine wirk-same Gewaltprävention dar, da sie die Eskalationsdynamik von Konflikten beendet.
Wie verhalten sich Menschen in einem Konflikt?
Es gibt zwei angeborene Verhaltensweisen für das Verhalten in bedrohlichen Situationen, die man bei allen Säugetieren und auch dem Menschen findet: Das sind Kampf oder Flucht. Manche suchen die direkte Auseinandersetzung, die bis zur Gewalt gehen kann. Andere versuchen wegzulaufen, wenn es zu einem ernsten Konflikt kommt. Welche dieser Verhaltensweisen ausgewählt wird, hängt davon ab, wie stark man den Gegner einschätzt. Und noch eine dritte Verhaltensweise ist bekannt: Sich „tot zu stellen“, also so zu tun, als ob man nicht da wäre, um damit die Aufmerksamkeit des anderen nicht zu erregen.
Neben diesen prinzipiellen Verhaltensweisen sind noch weitere typisch für einen Streit (vgl. Deutsch 1976):
- Typisch ist zum Beispiel, dass nicht mehr offen und ehrlich miteinander gesprochen wird, sondern dass stattdessen übereinander geredet wird. Man hat Geheimnisse vor dem anderen, will nicht, dass er alles weiß.
- Es gibt immer weniger Vertrauen zwischen den Streitenden. Man unterstellt dem anderen, dass er Böses im Schilde führt und sieht deshalb nur noch das Negative bei ihm.
- Man beharrt auf seiner Meinung. Selbst wenn es gute Gründe gibt, diese zu überdenken, hält man an seinem Standpunkt fest.
- Und: Man versucht, Unterstützer für die eigene Sache zu gewinnen. Man wirbt also um Mitstreiter für die eigene Position.
Konflikte in Kindergruppen
Es gibt in jeder Gruppe nicht nur das Miteinander, sondern auch das Neben- oder Gegeneinander. Konkurrenz und Schadenfreude sind oft mit dabei. Immer wieder geht es auch darum, den eigenen Platz in der Gruppe zu finden. Also wer in der Rangordnung ganz oben steht, wer bewundert wird und wer was zu sagen hat oder wer eher am Rande steht. Manche Kinder wollen sich auch Aufmerksamkeit verschaffen, indem sie laut sind und andere stören. Die Gruppe ist für sie wie eine große Bühne, auf der sie sich darstellen können und um Beachtung bemüht sind. Es gibt auch Kinder, die abgestempelt und in eine Schub-lade gesteckt werden, aus der sie nur noch schwer herauskommen. Sie sind z. B. immer der Störenfried, der schuld ist, wenn etwas schiefläuft. Streit entsteht auch, wenn eine Gruppe wenig Zusammenhalt hat. Wenn wenige Gemeinsamkeiten und wenig gegenseitiges Interesse vorhanden ist, ist es auch schwierig, mit Konflikten in einer Gruppe umzugehen. Und Streit entsteht auch dann eher, wenn keine klaren Regeln vorhanden sind.
Streit als Aufbau des sozialen Miteinanders
Die Streitthemen können Hinweise auf die Interessen der Kinder geben, müssen aber nicht zwangsläufig die Ursachen der Konflikte sein. Dittrich u.a. nennen folgende Schlüsselthemen, die Kinder im sozialen Miteinander beschäftigen: Einander kennen lernen, Besitzklärung, Positionen finden, festigen oder ändern wollen, Gruppen und Freundschaften bilden, Territorien erobern, Regeln testen, einfordern, erfinden oder verändern, Grenzen bei anderen testen, andere herausfordern. (...)
Alle diese Themen konzentrieren sich um den Aufbau des sozialen Umgangs miteinander. Die Kinder verfolgen damit indirekt das Ziel, Orientierung zu bekommen, um ihren eigenen Platz in der Gruppe zu finden. Die Entwicklungspsychologie benennt als eine zentrale Entwicklungsaufgabe von Kindern in dieser Altersphase den Aufbau von Kommunikationsfähigkeit und sozialem Bindungsverhalten. Die Kinder haben ein gemeinsames Interesse daran, dass letztlich eine harmonische Beziehung untereinander entsteht, da sie wissen, dass sie eine lange Zeit gemeinsam in der Gruppe verbringen werden. Streitereien sind deshalb für die soziale Orientierung im Gruppengefüge außerordentlich wichtig und wenn Erwachsene nicht sofort eingreifen, stellt sich meist heraus, dass die Kinder selbstständig integrative Lösungswege finden können. Dabei nutzen sie zur Kommunikation ein breiteres Verhaltensrepertoire als Erwachsene.
Körpersprache und metaphorische Symbolik spielen vor allem bei Kindern, deren Sprachfertigkeit noch nicht differenziert ausgebildet ist, eine große Rolle. Zudem bildet sich bei langem Zusammensein in einer Gruppe eine ganz eigene Form der Verständigung heraus. Die Gruppe verfügt über ein gemeinsames Wissen und eine Kommunikationskultur, die Außenstehenden nicht sofort und unmittelbar zugänglich ist.
Christian Büttner / Anna Buhde: Kinderkonflikte und die Einmischung Erwachsener. Ein Plädoyer für die Kompetenz der Kinder. In TPS 3/2006, S. 51 f.
Konfliktmotive bei Kindern
Als typische und immer wiederkehrende Situationen, die Konflikte zwischen Kindern veranlassen, gelten nach den Untersuchungen des Deutschen Jugendinstituts (Stadt Frankfurt 2002, S. 14):
- einander kennenlernen;
- Regeln erfinden, festigen, verändern, sicherstellen;
- Streit um Platz, Material, Spielgerät;
- andere ärgern, provozieren;
- Streit um Positionen, Rollen oder die Rangfolge;
- spielimmanente Störungen (z. B. beim Aushandeln der Spielidee oder ¬rollen);
- territoriale Übergriffe bzw. Androhung eines Übergriffs;
- aus Spaß oder Versehen wird Ernst;
- sich einmischen, Grenzen bei anderen testen.
Konfliktmotive bei Kleinkindern
Schweizer Entwicklungsforscher (Simoni u.a. 2008) kommen nach Gabriele HaugSchnabel (2009, S. 53 ff.) zu dem Ergebnis, dass die Gründe und Motive für Konflikte bei Kleinkindern (mit 22 Monaten) sehr differenziert sind:
- Erweckte Bedürfnisse: Das Verhalten eines Kindes weckt ein eigenes Bedürfnis.
- Etwas bewirken wollen: Der Wunsch, etwas zu bewirken und Einfluss zu nehmen, kommt auf.
- Unterbrechung einer Handlung: Die Kinder protestieren gegen eine Unterbrechung oder Störung ihrer Tätigkeit und wollen ihr Handlungsobjekt wieder zurückbekommen bzw. bei sich behalten.
- Neugier/Exploration: Die Kinder zeigen Interesse an einem Objekt, mit dem sich ein anderes Kind beschäftigt und versuchen, es ihm wegzunehmen.
- Hierarchie: Ein Kind kämpft hier um die alleinige Entscheidung über den Gebrauch eines Gegenstandes. Es geht darum, möglichst viel zu sagen zu haben.
- Kontakt¬ und Erregungssuche: Unkoordinierte aggressive Strategien werden verwendet, um Kontakte mit anderen Kindern herzustellen und Auswege aus Langeweile und Einsamkeit zu finden.
Konflikte haben also auch im frühkindlichen Bereich mit nicht oder unzureichend befriedigten körperlichen und psychischen Bedürfnissen zu tun.
Worüber streiten Eltern mit ihren Kindern?
Umfragen zeigen, dass Eltern mit ihren Kindern am häufigsten darüber streiten, wann und wie das Zimmer aufgeräumt werden soll. Außerdem geht es darum, wie die Mithilfe im Haushalt auszusehen hat, z. B. wer den Abwasch macht, den Tisch deckt oder den Müll wegbringt. In Familien kommt es auch immer wieder zum Streit um die Frage, wie lang Kinder wach bleiben dürfen, welches Fernsehprogramm geschaut wird und wie lang überhaupt Fernsehen oder Computer spielen erlaubt sind. Manchmal geht es aber auch darum, dass die Musik im Zimmer zu laut ist oder welche Kleider man anzieht.
Kinder wollen mit zunehmendem Alter mitreden dürfen und Vieles selbständig erledigen. Für Eltern ist es oft nicht leicht zu wissen, was ihre Kinder wirklich schon alles allein erledigen können. Immer wieder geht es deshalb um die Frage, was Kinder selbst entscheiden können und was die Eltern bestimmen wollen und müssen.