1. Orientierung geben
Regeln etablieren, Grenzen setzen
Die oberste Regel muss lauten: Die Kita ist ein Ort, an dem die körperliche Unversehrtheit aller garantiert ist und geachtet wird. Hier hat Gewalt in allen Ausformungen keinen Platz.
Deshalb ist die Frage zu beantworten, wann und wie die Verantwortlichen bei Aggression, Gewalt und Diskriminierungen reagieren und eingreifen (die „Stopp-Norm“ setzen)? Die Forderung muss sein: Von Erzieherinnen und Erziehern geht keine Gewalt aus, und sie greifen bei destruktiver Aggression von Kindern ein. Dies ist offensichtlich nicht selbstverständlich. Wegsehen unterstützt das Vorkommen von destruktiver Aggression und bringt für die Kinder eine Desorientierung mit sich.
Ein Eingreifen muss vorbereitet und abgestimmt werden. Es muss klar sein, welches Ausmaß an (verbaler) Aggression geduldet wird, wo die Grenzen sind und wie auf Übertretungen reagiert wird. Wichtig ist dabei: Alle Erzieherinnen (über die verschiedenen Gruppen hinweg) müssen an einem Strang ziehen. Sonst fühlen sich Einzelne im Stich gelassen. Es sollten deshalb Interventionsregeln aufgestellt werden, die auch allen bekannt sind. Diese Regeln müssen für alle gelten, für das Personal ebenso wie für die Kinder.
Zum Schutz der Kinder vor Gewalt gehört auch die institutionelle Vorsorge gegen Gewalt, die von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus-geübt wird. Die Träger müssen Maßnahmen treffen, um Fehlverhalten, Übergriffe, Diskriminierungen oder gar sexuellen Missbrauch und Gewaltanwendungen durch Mitarbeiter zu verhindern.
Etikettierungen vermeiden
Der Prozess der sozialen Etikettierungen (also der Zuschreibung von negativen oder positiven Eigenschaften) erweist sich als äußerst gewaltfördernd. Kinder, die in der (Gruppen-)Öffentlichkeit bloßgestellt oder gehänselt werden, werden leicht zu Außenseitern, die oft deutlich aggressiver als andere reagieren. Sie entsprechen sozusagen den an sie herangetragenen Erwartungen. Wer als aggressiv eingestuft wird, wird sich auch so verhalten.
Meist verlaufen diese Etikettierungen unbewusst und werden anhand von sozialen Schlüsselreizen (Namen, Kleidung, Wohngebiete usw.) ausgelöst. Da Etikettierungen eine Eigendynamik entwickeln, muss mit sozialen Normierungen äußerst vorsichtig umgegangen werden.
Auch umgekehrt funktioniert dieser Mechanismus. Ernstgemeinte und formulierte Überzeugungen wie „Du bist doch ein hilfsbereiter Junge ...“ haben langfristig positive Effekte, da sie an das Selbstwertgefühl appellieren und dieses durch Identifikationsangebote mit entwickeln helfen.
Neue Wege der Betreuung
Stellen Sie sich vor, es gibt einen 24-Stunden-Kindergarten, der auch Betreuung am Abend und am Wochenende anbietet. In dem im Garderobenraum ein Flachbildschirm hängt, auf dem die Höhepunkte des Tages als Diashow laufen: Kinder, die basteln; Kinder, die spielen; Kinder, die schlafen. Man kann sich das auch als App aufs Handy laden. Dazu gibt es ein Elterncafé, monatliche Informationsabende, regelmäßige Entwicklungsgespräche und Förderstunden für Kinder, die das brauchen. In Schweden ist dies an einigen Orten Realität. (Grüneberg 2013)
Sozialklima verbessern
Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen dem Sozialklima in der Einrichtung bzw. in der Gruppe und auffälligen Verhaltensweisen von Kindern. Problematisch ist die fehlende Bindung (fehlendes Gefühl der Zugehörigkeit) an eine Gruppe und ein fehlender Gruppenzusammen-halt bei gleichzeitig konkurrenzorientiertem Klima.
Positiv wirkt sich aus, wenn Kinder und Betreuungspersonen gut mit-einander auskommen, wenn sie ernst genommen werden und wenn Akzeptanz und Wertschätzung das Verhalten bestimmen.
Es geht folglich darum, die sozialen Bindungen zu stärken, stabile Beziehungen zu entwickeln und das Gefühl zu vermitteln, mit den jeweiligen Eigenarten auch akzeptiert zu sein.
Achtung der Mit- und Umwelt
Die Entwicklung von Ehrfurcht vor dem Leben (Albert Schweitzer 2009) als oberstes Lebens- und Bildungsprinzip bezieht auch die Um-und Mitwelt (Natur) mit ein. Hierzu gehört auch, die individuelle und gemeinschaftliche Verantwortlichkeit im Umgang mit Ressourcen im konkreten Alltagshandeln zu zeigen, um so auch die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Natur (wenigstens) im Nahbereich ansatzweise erfahrbar zu machen. Dies kann sich z. B. darin ausdrücken, einen Garten anzulegen und zu betreuen, Blumen und Gemüse zu pflanzen und zu ernten usw.
Zwei Konzepte
„Der Kindergarten steht gegenwärtig unter großem gesellschaftlichem und fachlichem Erwartungsdruck. In der Praxis der Fachkräfte in den Kindergärten überlagern sich gegenwärtig tradierte Konzepte mit aktuellen methodischen Ansätzen. Während die einen vor allem die eigenaktiven Lernprozesse der Kinder wertschätzen und fördern, betonen andere die Bedeutung von Vorgaben und Fördermaßnahmen der Erwachsenen; bisweilen werden beide Positionen als Gegensätze aufgefasst.“ (Thiersch 2011, S. 742)
Einübung von Mit- und Selbstbestimmung
Kinder sind eigenständige Subjekte, die ein eigenes Wollen, eigene Empfindungen und Meinungen haben und diese auch ausdrücken wollen. Die (altersentsprechende) Teilhabe an Entscheidungen ist ein Kinderrecht. Die Einübung demokratischer Verhaltensweisen steht jedoch immer wieder in Konkurrenz zur Forderung nach Gehorsam und Unterordnung. Unbedingter und permanenter Gehorsam hat für die Kinder negative Folgen, denn sie können keine selbständigen Entscheidungsprozesse erlernen und auch keine Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.
2. Handeln in schwierigen Situationen
Handeln bei Kindeswohlgefährdung
Eine besondere Herausforderung stellt vermutete oder tatsächliche Kindeswohlgefährdung dar. Hier gibt es einen staatlichen, fest-geschriebenen Schutzauftrag, dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachkommen müssen. Doch obwohl die Vorgehensweisen in solchen Situationen festgelegt sind, bleiben im Alltag vielfältige Unsicherheiten (ausführlich in Kap. 3.6).
Übergänge bewältigen lernen
- Grundschulen als Kooperationspartner
- gemeinsame Veranstaltungen und wöchentliche Vorschul-Nachmittage
- gemeinsame Fortbildungen von Erzieherinnen und Lehrkräften
- gemeinsame Elternarbeit
- regelmäßige gezielte Beobachtungen der Kinder
- Kinderärzte als Partner (Halder 2007, S. 28)
Umgang mit kindlicher Aggression und Gewalt
Beim Umgang mit „alltäglicher“ Aggression sollte zwischen alters- und entwicklungsbedingtem spielerischen Erprobungsverhalten (Kräfte messen, „Auskämpfen“ der Gruppenrangfolge usw.) und chronisch-de-struktiven Aggressionshandlungen, die bereits den Charakter von Störungen angenommen haben, unterschieden werden. Während auf das Erprobungsverhalten mit dem Anbieten adäquater Möglichkeiten der Auseinandersetzung bzw. von Freiraum zum „Austoben“ reagiert wer-den kann, geht es bei destruktiver Aggression um Angebote zur Ichstärkung und Hilfestellung beim Zusammenleben in der Gruppe. In beiden Fällen ist das Ziel letztlich die Kultivierung der „Aggression“ bzw. zu erkennen, welche Botschaften mit diesem Verhalten verbunden sind. Eine Abstimmung über Vorgehensweisen in akuten Problemfällen ist wichtig und hilfreich. Gute Rahmenbedingungen können destruktive Aggression zwar nicht grundsätzlich verhindern, wohl aber ihr Vor-kommen reduzieren. Hierzu gehören u.a. ein niedriger Lärmpegel, ein gutes Verhältnis zwischen strukturierten Angeboten und Freispiel, klare Absprachen und Regeln sowie die Unterstützung der Kinder, ihren Platz in der Gruppe zu finden.
Konflikte konstruktiv bearbeiten
Weder Konflikte noch Aggressionen können und sollen aus dem Kindergarten verbannt werden. Sie stellen notwendige Lernfelder dar, um einzuüben, wie durch kommunikative Prozesse gemeinsames Leben gestaltet werden kann. Kinder sollten Konflikte möglichst selbst regulieren, dabei müssen die Schwächeren geschützt werden. Wichtige Instrumente beim Umgang mit Konflikten sind die gewaltfreie Kommunikation sowie die Einführung von Lösungsritualen (ausführlich in Kap. 3.2).
3. Besondere Herausforderungen
Inklusion leben
Ausgrenzung ist eine Form von Gewalt, die nicht nur seelische Schmerzen verursacht, sondern auch langfristig ihre Spuren hinterlässt. Inklusion bedeutet Umgang mit Heterogenität. Sie beruht auf Wertschätzung, Rücksichtnahme und Förderung aller Kinder – gerade auch der Kinder, die ein Handicap mitbringen. Inklusion möchte Einrichtungen der Vorschule zu einem Ort des gemeinsamen Erlebens und Lernens für alle Kinder machen.
Übergänge gestalten
Besonders die Übergänge, also die Aufnahme in eine Einrichtung im Elementarbereich, die heute immer jüngere Kinder betrifft, sowie der Übergang in die Grundschule, können sich für Kinder, aber auch für Eltern und die beteiligten Fachkräfte als schwierig und problembehaftet erweisen. Es geht um Trennung und Ablösung sowie die Aufnahme neuer Beziehungen. Deshalb ist es wichtig, hier erprobte Modelle und Rituale anbieten zu können. Dabei spielen Fragen der Sprachentwicklung sowie des sozialen Verhaltens eine zentrale Rolle. Bei Nichtgelingen dieser Übergänge sind häufig soziale Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu aggressivem Verhalten festzustellen. Für die Eltern bedeutet dies, loslassen zu können, Zutrauen in ihr Kind und die Erzieherinnen bzw. Lehrkräfte zu entwickeln, dass diese die neue Situation bewältigen können. Die vielfältigen Erfahrungen mit Übergängen wurden inzwischen in vielen Einrichtungen zu sog. „Eingewöhnungsmodellen“ weiterentwickelt.
Jungen und Mädchen
Der Elementarbereich ist ebenso wie der Primarbereich ein Berufsfeld vorwiegend für Frauen. Die (weitgehende) Abwesenheit von Männern (als Mitarbeiter, aber auch als Väter) in diesem Bereich muss als eines der Schlüsselprobleme, nicht nur im Kontext von Gewaltprävention, angesehen werden (vgl. Bienek/Stoklossa 2007, S. 115), zumal es häufig Jungen sind, die Verhaltensprobleme haben und Probleme machen. Geschlechtsspezifische Verhaltensweisen sollten produktiv aufgegriffen werden. Körperlichkeit und Erproben der eigenen physischen Kraft sind für Jungen ebenso wichtig wie positive männliche Vorbilder.
Spezifischer Förderbedarf
Prävention darf sich nicht nur unspezifisch im Sinne einer Primärprävention an alle Kinder wenden. Sie braucht auch Angebote für Kinder mit besonderen Problemlagen. Dies kann die gezielte Sprachförderung ebenso umfassen, wie Hilfen bei der Entwicklung der Motorik und des Sozialverhaltens. Für Kinder mit starken Auffälligkeiten im Bereich Aggression haben sich spezifische Trainingsangebote bewährt (vgl. Petermann/Petermann 2012).
Ein Schweizer Expertenbericht zur Gewaltprävention stellt fest: „Ein erster Typus von Interventionen mit guten Belegen für eine positive Wirkung sind qualitativ hochwertige vorschulische Unterrichtsangebote für gefährdete Kinder im Alter von 2–5 Jahren. Zentrales Ziel ist hier eine gezielte Förderung der kognitiven, sprachlichen und sozialen Entwicklung der Kinder durch qualitativ hochwertigen Frühunterricht in kleinen Gruppen über mehrere Jahre hinweg. Soziale und kognitive Kompetenzen gehören zu den wichtigsten Schutzmechanismen gegen die spätere Entstehung von Verhaltensproblemen.“ (Eisner u.a. 2009, S.67)
4. Guter Kindergarten
Qualität entwickeln
Unter Präventionsgesichtspunkten ist die Qualität einer Einrichtung ein zentraler Indikator für eine präventive Wirkung und das Gelingen von Prävention. Pädagogische Qualität hat mit Professionalität, mit Ausstattung, Personalschlüssel, Qualifizierung der Mitarbeiter usw. zu tun. Vor allem aber mit der Realisierung pädagogischer Beziehungen mit den Kindern und deren Förderung (vgl. Hafeneger 2011, S. 136). In der Forschung werden vier Qualitätsbereiche unterschieden (Kluczniok u.a. 2012, S. 33 ff.):
- Orientierungsqualität schließt Werte und Überzeugungen der für die pädagogischen Prozesse verantwortlichen Erwachsenen ein.
- Strukturqualität beschreibt Rahmenbedingungen (z. B. die Gruppengröße und die Fachkraft-Kind-Relation).
- Unter Prozessqualität wird die Gesamtheit der Interaktionen von Kindern mit den pädagogischen Fachkräften, mit anderen Kindern und mit dem Raum sowie den darin befindlichen Materialien, zum Beispiel dem Spielzeug, zusammengefasst.
Die allgemeine Prozessqualität bezieht sich unter anderem auf Pflege-und Betreuungsaspekte, räumlich-materiale Umgebung, Supervision des Geschehens oder allgemeine Förderaspekte. Die bereichs-spezifische Prozessqualität thematisiert die Qualität der Förderung spezifischer Bereiche wie frühe schriftsprachliche oder mathematische Kompetenzen. Zudem kann Prozessqualität auf Gruppenebene und auf der Ebene des einzelnen Kindes erfasst werden. - Die Qualität des Familienbezugs und der Vernetzung bezieht sich auf die Zusammenarbeit mit den Eltern oder auf Hilfen bei besonderen Herausforderungen, zum Beispiel durch die Vernetzung mit sozialen Diensten.
Nach dem strukturell-prozessualen Qualitätsmodell ist Qualität dann gegeben, „wenn Kinder in ihrer körperlichen, emotionalen, sozialen und intellektuellen Entwicklung gefördert, ihr Wohlbefinden sowie ihre gegenwärtige und zukünftige Bildung in den Blick genommen und auch die Familien in ihrer Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsverantwortung unterstützt werden“ (Tietze u.a. 2007, zitiert nach Kluczniok u.a. 2012, S. 34).
Pädagogische Qualität ist nicht einfach vorhanden, sie muss permanent erhalten oder neu hergestellt werden. Dabei spielen die Grund-konzeption der Einrichtung und die damit verbundene pädagogische Haltung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine wichtige Rolle.
Qualität
„Wir wissen heute, dass Qualität auch abhängig ist von den Bedürfnissen und Wünschen der Familien, für die sie gedacht ist. Herausragende Qualität in einem innerstädtischen Bezirk einer Großstadt in England unterscheidet sich wesentlich von besonders guter Qualität in einer ländlichen Gegend in Griechenland. Der Versuch, universale Qualitätskriterien zu definieren, hat bisher eher dazu beigetragen, in unseren westlichen Gesellschaften bereits privilegierte Gruppen noch weiter zu privilegieren.“ (Vandenbroeck 2007, S. 5)
Gestaltung der Räume und des Freigeländes
Die Gestaltung der Räume und Freiflächen hat unmittelbare Auswirkung auf das Wohlbefinden und Verhalten der Kinder und auf deren Persönlichkeitsentwicklung. Wenn Kinder sich in Räumen ohne entsprechende Bewegungsmöglichkeiten aufhalten müssen, ist es nicht verwunderlich, dass sie ihrem Bewegungsdrang Ausdruck verleihen. Eine Kindereinrichtung muss über eine angenehme Atmosphäre verfügen. Kinder benötigen sowohl Räume für Bewegung als auch für Ruhe und Entspannung. Licht, Farben und Akustik nehmen wesentlichen Einfluss auf Aktivität und Entspannung. Verschiedene natürliche Materialien wie Holz, Stoffe, Taue, Kork, Metall usw. spiegeln die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Kinder wider. Gegliederte Außen-räume und vielfältige Materialien wie z. B. Pflanzen, Holz, Rinde, Sand und Kies ermöglichen verschiedene Sinneserfahrungen und schaffen Nischen, Versteckmöglichkeiten und Rückzugsorte (vgl. Schreckenberger/Brodbeck o.J.)
Erhebliche Qualitätsunterschiede
Die pädagogische Qualität in deutschen Kindergärten ist zum größten Teil nur mittelmäßig. Dieses Fazit zieht der Zwischenbericht der ersten „Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit“ (NUB-BEK). Innerhalb jeder Betreuungsform – ob Krippe, Kita, Kindergarten oder Tagesmütter – klaffen erhebliche Qualitätsunterschiede. Nach wie vor schneiden ostdeutsche Einrichtungen dabei im Durchschnitt schlechter ab als westdeutsche. Vor allem für Betreuungseinrichtungen mit hohem Migrantenanteil fordern die Autoren der Studie mehr und besser ausgebildetes Personal.
Bei einem gezielt auf die Bildungsbereiche Lesen, Mathematik, Naturwissenschaft und interkulturelles Lernen ausgerichteten Qualitätstest schnitt jede zweite Betreuungseinrichtung „unzureichend“ ab. In der Gesamtwertung erreichten 80 Prozent der Betreuungseinrichtungen auf einer pädagogischen Qualitätsskala mittlere Werte. Gute Qualität bescheinigten die Forscher weniger als zehn Prozent der Einrichtungen, schlechte Qualität hingegen mehr als zehn Prozent. (www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-04/nubbek-kinder-bildung)
Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Erzieherinnen und Erzieher brauchen eine gewisse „Diagnosekompetenz“ und einen „systemischen Blick“, um Kinder und die durch ihr Verhalten kommunizierten Botschaften wahrnehmen zu können. Sie dürfen keine Angst vor Konflikten haben, müssen über grundlegende Kenntnisse der Konfliktbearbeitung verfügen und dabei auch das eigene Team und die Eltern im Blick haben. Sie müssen wissen, dass es bei Gewaltprävention nicht um einzelne isolierte Maßnahmen, sondern letztlich immer auch um Organisationsentwicklung auf vielen Ebenen geht, die die Ursachen von Aggression und Gewalt reduziert. Kooperation und Networking mit anderen Einrichtungen sind dabei ebenso unabdingbar wie eigene Weiterqualifizierung und wissenschaftliche Fundierung. Vor allem aber müssen sie sich stets im Klaren sein, dass sie selbst in ihren Einstellungen und Handeln Vorbild und Verhaltensmodell für die Kinder sind. Fallbesprechungen sowie Supervision in schwierigen Situationen sollten selbstverständlich sein.
Kinder abholen
„Den Müttern wurde signalisiert: Je früher ihr euer Kind aus dem Kindergarten holt, umso rücksichtsvoller seid ihr. Da gab es Mütter von der schlechten Art, so deutete die Erzieherin an, die holten ihr Kind grundsätzlich erst im letzten Moment ... oder sie schickten das Kind unausgeschlafen schon früh in den Kindergarten ... Je früher sie das Kind abholte, desto rücksichtsvoller also die Mutter. Aber wie kann ein Kind ein Haus als einen Ort erleben, in dem vor allem seine Abwesenheit mit Dank und Lob bedacht wird? Welche Haltung zur Öffentlichkeit wird da aufgebaut – mein positiver Beitrag ist es, dort nicht bemerkbar zu sein, abwesend?“ (Elschenbroich 2001, S. 168)
5. Das Umfeld einbeziehen
Eltern als Partner
Vorschulische Arbeit ist ohne die intensive Einbeziehung der Eltern nicht möglich. Dies trifft umso mehr für den Bereich der Gewaltprävention zu. Eltern werden von den Erzieherinnen und Erziehern oft nicht als gleichwertige Partner oder gar als Experten für ihre Kinder, sondern eher als defizitär und unterstützungsbedürftig gesehen (vgl. Brock 2012). Im Sinne einer Erziehungspartnerschaft muss es von einem Nebeneinander (oder gar Gegeneinander) zu einem Miteinander kommen. Die gegenseitige Anerkennung ist Grundlage einer gelingenden Zusammenarbeit.
Eltern haben in Kindergärten und Kindertagesstätten ein verbrieftes Informations- und Mitspracherecht, das durch die Elternversammlung und die Wahl und Arbeit von Elternvertretern (Elternbeirat) wahrgenommen wird. Auf kommunaler Ebene gibt es häufig Gesamteltern-beiräte, die die Interessen der Eltern gegenüber den Trägern vertreten. Immer wieder kommt es zu Konflikten über die Frage, wie stark und in welchen Fragen Eltern bei der Konzeption und Gestaltung von Abläufen beteiligt werden sollen/müssen. Wer die (altersangemessene) Partizipation von Kindern als Ziel hat, kann Eltern eine Partizipation nicht verweigern.
Die Frage, wie mit (alltäglichen oder grundsätzlichen) Konflikten zwischen dem pädagogischen Personal und den Eltern (oder dem Träger und den Eltern) umgegangen wird, hat auch Auswirkungen auf die Kinder.
Elternarbeit im Sinne von Unterstützung der Erziehungskompetenzen von Eltern (insbesondere von „Problemfamilien“) ist ein wichtiges und oft vernachlässigtes Feld. Eltern suchen nach Orientierung und Austausch über Erziehungsfragen. Hier können wichtige Grundlagen für eine gewaltfreie Erziehung gelegt werden. Gerade in diesem Bereich bescheinigt jedoch eine bundesweite Befragung von Lehrkräften an Fachschulen für Sozialpädagogik den Absolventen dieser Fachschulen besonders niedrige Kompetenzen (Kleeberger/Stadler 2011, S. 39).
Eltern
Der Umgang mit Konflikten zwischen Eltern wird bislang in der Fachliteratur kaum thematisiert. Die vergleichende Interaktion und bewertende Kommunikation unter Müttern – aber auch unter Vätern – kann verletzend sein und kränkend wirken.Wird die Einrichtung durch solche Konflikte der Eltern unmittelbar betroffen, ist die pädagogische Fachkraft gefordert, gleichzeitig aber auch überfordert, denn dafür fehlen ihr meist die entsprechende Ausbildung bzw. Kompetenz, Konflikte unter Erwachsenen zu schlichten oder Formen des Mobbings unter Müttern wahrzunehmen. (Brock 2012, S. 21)
In Netzwerken arbeiten
Auffälliges Verhalten wird von Kindern oft von der Familie in die Kita mitgebracht. Eine wirksame Präventionsarbeit ist deshalb nur möglich, wenn es zu einer Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungen kommt, die in Kontakt zu Familien stehen und darüber hinaus auch stadtteilbezogene Angebote (Stadtteilkonferenzen, runde Tische usw.) einbezogen werden. Hierzu gehören Kinderärzte, Gesundheitsamt, Jugendhilfeeinrichtungen, Familienberatungsstellen, Polizei, Vereine, Schulen usw. Netzwerke bedürfen bestimmter Strukturen und sollten sich regelmäßig treffen und austauschen. Solche Treffen dienen dem Kennenlernen, aber vor allem auch dem fachlichen Austausch bis hin zu Fallbesprechungen.
Die Öffnung der Einrichtung und Einbindung von Kitas in das Gemeinwesen sowie die Beteiligung und Übernahme von Verantwortung in diesem Bereich haben sich als außerordentlich positiv im Sinne einer Gewaltprävention ausgewirkt. So wird deutlich, dass Kitas auch Teil der Kommune sind.
Faustregeln für Alltagshandeln in Problemsituationen
Problemsituationen sind oft unübersichtlich und komplex. Sie sind emotional auf geladen und erfordern schnelles Handeln. Die Reaktionen sind mit der Gefahr behaftet, dass sich die Betroffenen ungerecht behandelt fühlen und niemand mit der Entscheidung einverstanden ist.
Faustregeln für solche Entscheidungen könnten sein:
- Handle so, wie du auch behandelt werden möchtest!
- Handle so, dass du andere nicht instrumentalisierst (zum Mittel für bestimmte Zwecke machst)!
Zur Selbstvergewisserung und Reflexion:
- Im Konflikt gibt es immer drei Wahrheiten: deine, meine und eine dritte.
- Die Überlegung, „Was würde meine Mutter (meine Freundin, mein Mann ...) dazu sagen?“, kann zu einer schnellen Einsicht führen, was gerade richtig ist.
- Wenn andere mich so sehen würden?
- Würde ich mich auch in der Öffentlichkeit so verhalten?