Gewalt in der Schule

Gewalt in der Schule

Gewalt in der Schule ist ein Problem. Was jedoch genau unter Gewalt an Schulen verstanden wird und wie diese eingeschätzt und bewertet wird, ist sehr verschieden.

Was ist Gewalt in der Schule?

Gewalt an Schulen wird häufig mit Gewalt von Schülern gleichgesetzt. Schülergewalt wird von Klewin u.a. in drei Verhaltensgruppen unterteilt (1):

  • Körperlicher Zwang und physische Schädigung: Im Rahmen von Auseinandersetzungen und Konflikten wird körperliche Gewalt angewendet, um den anderen zu schädigen.

  • Verbale Attacke und psychische Schädigung: Beleidigungen, Erniedrigungen, emotionale Erpressungen.

  • Bullying: In einer spezifischen Opfer-Täter-Beziehung wird das Opfer dauerhaft gequält und drangsaliert, wobei körperliche und psychische Gewalt angewendet wird.

Schülergewalt ist jedoch nur ein Aspekt des Problems. Weitere sind: Gewalt, die vom Lehrpersonal oder von Schulstrukturen und ihrer Verfasstheit ausgeht. Die Diskussion um Gewalt an Schulen und Gewaltprävention muss auch diese Formen einbeziehen. Gewaltprävention muss alle Arten von Gewalt im Blick haben. Häufig werden keine klaren Grenzen zwischen Gewalt und deviantem Verhalten (Diebstahl, Drogenkonsum, Schwänzen, Mogeln usw. ) gezogen. In der deutschen Diskussion um Gewalt in Schulen wird der körperlichen Gewalt und dem Bereich der verbalen Gewalt besondere Aufmerksamkeit gewidmet (2).

Im Bereich der Grundschule kommt insbesondere dem Bereich der sprachlichen Umgangsweisen aber auch dem Phänomen der Ausgrenzung besondere Bedeutung zu.

Verbreitung von Gewalt an Schulen

Die Wahrnehmung vom Ausmaß schulischer Gewalt wird weitgehend von der Medienberichterstattung und der öffentlichen Diskussion bestimmt, wobei brutale Einzelfälle oft zu Tendenzen stilisiert werden. Während die Berichterstattung und öffentliche Wahrnehmung für die letzten Jahre eine starke Zunahme von Gewalt an Schulen unterstellen, wird diese Sichtweise von wissenschaftlichen Ergebnissen nicht gestützt(3). Für Deutschland gibt es keine flächendeckenden Untersuchungen zur Gewalt an Schulen. Es gibt jedoch eine Vielzahl von regionalen Arbeiten. Insbesondere fehlen Längsschnittuntersuchungen um Aussagen über die Entwicklung von Gewalt an Schulen treffen zu können.

Die wesentlichen Ergebnisse empirischer Gewaltstudien für Deutschland können stichwortartig so zusammengefasst werden(4):

  • Die häufigste Form der Gewalt an Schulen ist die verbale Gewalt. Schulische Gewalt ist überwiegend geprägt durch leichte Formen der physischen und verbalen Aggression.

  • Mit Ausnahme der verbalen Gewalt ist Gewalt von Schülern deutlich eine Domäne männlicher Schüler. Mädchen zeigen weniger aggressives Verhalten und werden seltener Opfer von Gewalt.

  • Aggressive Auseinandersetzungen sind in der Altersgruppe der 13-16jährigen am häufigsten. Diese Altersverteilung zeigt, dass das Gewaltphänomen auch in der Schule verstärkt im Kontext der Pubertät auftritt.

  • Gewalt an Schulen nimmt tendenziell mit steigendem Bildungsniveau ab. Hauptschulen weisen besonders bei physischer Gewalt deutlich höhere Werte auf als Gymnasien.

  • Häufige Gewaltanwendung geht von einem kleinen, gewaltaktiven Kern aus. Je gravierender die Gewalthandlungen werden, desto größer wird auch der Anteil zunächst gewaltpassiver Schüler.

  • Täter- und Opferstatus hängen relativ eng miteinander zusammen. Schüler, die überproportional häufig den Gewalthandlungen ihrer Mitschüler ausgesetzt sind, üben auch überproportional oft selbst Gewalt aus. Andererseits sind Täter mehrheitlich zugleich auch Opfer von Gewalt.

  • Das Stereotyp der generell aggressiveren und delinquenteren ausländischen Jugendlichen kann nicht bestätigt werden.

  • Über die Hälfte der Verletzungen finden während der Pausen, ein Fünftel während des Sportunterrichts (und hiervon knapp die Hälfte während des Fußballspiels) statt(5).

  • Immer größere Beachtung für die Einschätzung der schulinternen Gewaltlage findet auch das Phänomen des „Bullying“ oder Mobbing. Die Gruppe der Bullies, also der Jugendlichen, die Mitschüler in verschiedenen Formen attackieren und quälen, ohne selbst in besonderem Maße Opfer zu werden, kann auf ca. 5 Prozent eingegrenzt werden.

  • Das Problem der „Gewalt an Schulen“ darf nicht isoliert gesehen werden.

  • Es gibt hohe Korrelationen zwischen dem Schul-Bullying und allgemein
    delinquentem und dissozialem Verhalten(6).

Alle Untersuchungen zeigen es liegen keine empirischen Befunde vor, die auf einen generellen Anstieg der Gewalt an Schulen hinweisen. Der Bundesverband der Unfallkassen in Deutschland hat das Gewalt verursachte Verletzungsgeschehen an Schulen für den Zeitraum 1993 – 2003 untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass langfristige Zeitreihenbeobachtungen zur physischen Gewalt an Schulen bundesweit einen Rückgang physischer schulischer Gewalt zeigen. Auch eine zunehmende Brutalisierung sei nicht zu erkennen(7).

Hat Gewalt an Schulen zugenommen?

Eines der wesentlichen Merkmale komplizierter Konflikte ist, dass sich die Experten oft schon bei der Beschreibung nicht einig sind.„Die Gewaltbereitschaft unter Schülern hat enorm zugenommen. Es wird viel schneller und härter gedroht und zugeschlagen“, sagt Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Joachim Kersten, Soziologe an der Polizeifachhochschule Villingen-Schwenningen, allerdings sagt :„Die Schule war im 19. Jahrhundert ein Ort jugendlicher, vor allem männlicher Gewalt, sie war es im 20. Jahrhundert, und – o Wunder– ist es auch im 21. Jahrhundert.“ Die Wahrheit ist: Die meisten Lehrer und die meisten Schüler fühlen, dass Gewalt an Schulen zunimmt, aber keiner hat Werte, keiner Zahlen, da es keine Langzeituntersuchengen gibt. Der Osnabrücker Kriminologe Hans-Dieter Schwind hat nach Durchsicht zahlreicher Untersuchungen über Gewalt an Schulen immerhin einige Trends herausgearbeitet:

  • Die Zahl der Schüler, die Schwierigkeiten in der Schule haben, nimmt zu und deren aggressives Verhalten mündet oft in Gewalt;

  • Haupt- und Sonderschüler sind häufiger Täter als Schüler anderer Schulformen;

  • Gewalttätigkeiten gehen meist von einem kleinen Kreis aus, der zum Teil von Cliquen außerhalb der Schule beeinflusst wird;

  • zu körperlichen Misshandlungen kann es heute schon aus nichtigen Anlässen kommen, mitunter ereignen sich die Angriffe auch völlig grundlos;

  • der harte Kern der Rauflustigen trinkt mehr, geht häufiger in Discos und sieht mehr Gewaltvideos als die Mitschüler.

So groß und dominierend der Einfluss der Gewalt von außen auf die Schule auch sein mag, gewalttätige Konflikte entstehen auch durch mangelhaftes Verhalten innerhalb der Schule.

Der Spiegel, Nr. 14/2006, S. 30

Problemwahrnehmung

Für das Zusammenleben und das schulische Geschehen sind jedoch nicht so sehr die genauen Prozentsätze von Gewaltvorkommen entscheidend, sondern die Wahrnehmung und das Klima, das von Schülerinnen und Schülern, sowie Lehrerinnen und Lehrern mit Gewalt an Schulen verbunden wird. Und hier ist festzustellen, dass viele Schüler und Lehrer nicht so sehr Angst vor körperlichen Übergriffen, als vielmehr vor Beleidigungen und Beschimpfungen oder vor verbaler Aggression haben. Diese Angst beeinfl usst das Lernklima äußerst negativ

Ursachen und Risikofaktoren schulischer Gewalt

Die Ursachen von Gewalt an der Schule sind vielschichtig. Die Frage, ob schulische Gewalt „importierte Gewalt“ ist, bzw. welchen Anteil und Einfluss die Schule selbst auf die Entstehung und Verbreitung schulischer Gewalt hat, spielt bei der Diskussion der Ursachen eine wichtige Rolle.

Dass Gewalt an der Schule sowohl schulexterne als auch schulinterne Ursachen hat, ist in Wissenschaft und Forschung unbestritten(8).

Olweus(9) sieht vier Faktorenkomplexe, die während des Aufwachsens die individuelle Entwicklung ungünstig beeinflussen können: mangelnde emotionale Zuwendung der Eltern, mangelnde Grenzsetzungen durch die Bezugspersonen bei aggressivem Verhalten, körperliche und andere „Macht betonte Erziehungsmittel“ sowie ein „hitzköpfiges“ Temperament des Kindes.

Nach seinen Untersuchungen hat weder die Klassen- und Schulgröße noch die Konkurrenz um Noten einen bedeutsamen Einfluss auf gewalttätiges Verhalten von Schülern(10). Schäfer und Korn referieren die in der Forschung genannten Ursachenfaktoren(11):

Innerschulische Faktoren

  • Pädagogische Qualität der innerschulischen Lehr- und Erziehungsumwelt;

  • schwindende Erziehungskompetenz der Lehrer;

  • zu starke Betonung von Aspekten der Wissensvermittlung bei Vernachlässigen einer Werte orientierten Bildung, dadurch schlechtes Lehrer-Schüler-Verhältnis;

  • Lehrer sind dem Phänomen „Gewalt zwischen Schülern“ nicht gewachsen.

Personale Faktoren

  • Täter und Opfer erleben die sozialen Dimensionen des Schulalltags belastender und konflikthaltiger als die sozial kompetenten Schüler;

  • niedrige Hemmschwelle;

  • mangelnde sprachliche Kompetenz, Fehlen einer kommunikativen Streitkultur und häufiger Konsum von Horror-, Kriegs- und Sexfilmen;

  • die „Gewaltkarrieren“ mancher Jugendlicher hören nicht bei Schulschluss auf, Jugendgewalt ist außerhalb von Schulen häufiger als in den Schulen.

Familiäre Faktoren:

  • Gewalterfahrungen der Kinder und Jugendlichen im Elternhaus, die diese selbst erlebt bzw. bei den Eltern beobachtet haben;

  • Arbeitslosigkeit eines Elternteils;

  • emotionales Klima in der Herkunftsfamilie.

Tillmann u.a. heben besonders den schulischen Kontext, der sich als gewaltfördernd herausgestellt hat, hervor. Es zeigt sich, „dass vor allem das Sozialklima einer Schule erheblichen Einfluss ausübt: Fehlende Anerkennung bei Mitschülerinnen und Schülern, etikettierendes und restriktives Verhalten der Lehrkräfte, scharfe Konkurrenz zwischen den Heranwachsen den hängen eng mit ihrem Gewaltverhalten zusammen“(12). Auch eine spezifische schulische Eigenheit ist nicht ganz unproblematisch: die prinzipiellen Gehorsamkeits- und Wohlverhaltensanforderungen der Schule und ihrer Lehrkräfte steht im Widerspruch zu den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler nach Selbstbestimmung, Spaß haben und Ausagieren. Dies führt vor allem dann zu Konflikten, wenn Heranwachsende – insbesondere in der Pubertät – Schuld distanzierte und abweichende Indentitäten präsentieren und dabei auch Gewaltverhalten zeigen(13).

Die Klassen- und die Schulgröße hingegen scheinen – wie oben bereits erwähnt – für die Aggression von Jugendlichen kaum bedeutsam zu sein. Die pauschale Forderung kleinerer Klassen trägt deshalb kaum zur Aggressionsverhütung bei(14).

Insgesamt kann und darf schulische Gewalt jedoch nicht losgelöst vom Level gesellschaftlicher Gewalt gesehen werden. Untersuchungen zeigen einen Zusammenhang zwischen ansteigender Gewalt an Schulen mit ansteigender Gewalt in der Gesellschaft(15).

Anmerkungen

  1. Gabriele Klewin / Klaus-Jürgen Tillmann / Gail Weingart: Gewalt in der Schule. In: Wilhelm Heitmeyer / John Hagan (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden 2002, S. 1079.

  2. Ebd., S. 1096.

  3. Bundesverband der Unfallkassen (Hrsg.): Gewalt an Schulen. Ein empirischer Beitrag zum gewaltverursachten Verletzungsgeschehen an Schulen in Deutschland 1993-2003. München 2005, S. 4.

  4. Vgl. Bundesverband der Unfallkassen, a.a.O., S. 5. Friedrich Lösel / Thomas Bliesener: Aggression und Delinquenz unter Jugendlichen. Untersuchungen von kognitiven und sozialen Bedingungen. BKA-Studie. München/Neuwied 2003. Vgl. www.bka.de/pub/veroeff/band/index20.html.

  5. Vgl. Bundesverband der Unfallkassen, a.a.O.

  6. Vgl. Lösel u.a., a.a.O.

  7. Bundesverband der Unfallkassen, S. 21.

  8. Vgl. Klaus-Jürgen Tillmann / Birgit Holler-Nowitzki / Heinz Günter Holtappels: Schülergewalt als Schulproblem. Verursachende Bedingungen, Erscheinungsformen und pädagogische Handlungsperspektiven. Weinheim / München 2000.

  9. Dan Olweus: Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können. Bern 1995, S. 48 f.

  10. Bei diesen Aussagen muss berücksichtigt werden, dass Olweus nicht alle Gewaltformen, sondern nur „Bullying“ untersucht.

  11. Mechthild Schäfer / Stefan Korn: Maßnahmen gegen die Gewalt an Schulen: Ein Bericht aus Deutschland. o.O. 2002.

  12. Forschungsgruppe Schulevaluation: Gewalt als soziales Problem in Schulen. Opladen 1998.

  13. Klewin u.a., a.a.O., S. 1080.

  14. Friedrich Lösel u.a., a.a.O., S. 167.

  15. Vgl. Center for the Study and Prevention of Violence: Youth Violence: A Public Health Concern. School Violence Fact Sheets 02.

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