Die Schule ist ein Ort, an dem Gewalt – in welcher Form auch immer – keinen Platz haben darf. Nicht nur auf Gewalt zu reagieren, sondern ihr präventiv zu begegnen, ist deshalb ein Gebot der Vernunft.
Schulische Gewaltprävention
Es geht auch in der Schule um die drei großen Präventionsbereiche:
- Prävention im Sinne langfristiger vorbeugender Arbeit (mit allen Schülerinnen und Schülern – primäre Prävention).
- Interventionsstrategien: Verhalten in aktuellen Gewalt- und Konfliktsituationen sowie Arbeit mit gefährdeten Kindern und Jugendlichen.
- Maßnahmen zur Konfliktregelung und Nachbearbeitung auch um die Rückfälligkeit bereits aufgefallener gewalttätiger Kinder und Jugendlicher zu verhindern.
Wichtig erscheint dabei, in allen drei Bereichen tätig zu werden. Dies bedeutet mit unterschiedlichen Gruppen und Anforderungen zu arbeiten. Betrachtet man im Rahmen von Gewaltprävention nicht nur den Moment der Gewalthandlung, sondern das gesamte Kontinuum der Einflussfaktoren und Konfliktgeschichte, so entdeckt man eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten im Vorfeld und erkennt leicht, dass Gewalt kontextgebunden ist. Ausgangspunkt der Überlegungen muss die Erkenntnis sein, dass auch die schulische Lernwelt erheblichen Einfluss auf das Gewaltverhalten von Schülern besitzt, und dass man deshalb auch hier ansetzen kann.
Die Bildungsforscher Holtappels und Tillmann formulieren vor dem Hintergrund einer umfassenden Untersuchung über „Gewalt an Schulen” sieben Bereiche effektiver Präventionsarbeit:
- Regeln etablieren, Grenzen setzen
- Eine Lernkultur entwickeln
- Das Sozialklima verbessern
- Etikettierungen vermeiden
- Räume und Orte sehen
- Kooperation im Stadtteil/in der Kommune
- Entwicklung einer Schulkultur.
1. Regeln etablieren, Grenzen setzen
Die oberste Regel muss lauten: Die Schule ist ein Ort, an dem die körperliche Unversehrtheit aller garantiert ist und geachtet wird. Hier hat Gewalt in allen Ausformungen keinen Platz. Deshalb ist die Frage zu beantworten, wann und wie Lehrkräfte und Mitschülerinnen bei Gewaltakten und Diskriminierungen eingreifen (die „Stopp-Norm“ setzen)?
Die Forderung muss sein: Lehrkräfte greifen bei Gewaltakten ein. Untersuchungen zeigen, dass dies auch in der Schule nicht selbstverständlich ist. Viele Lehrkräfte sehen weg, und dieses Wegsehen hat enorme negative Konsequenzen. Es unterstützt Gewaltvorkommen. Eingreifen muss vorbereitet, abgestimmt werden. Es muss klar sein, welches Ausmaß an verbaler Aggression geduldet wird und wo die Grenze ist. Lehrkräfte müssen sich geeinigt haben, wie sie auf Übertretungen reagieren.
Wichtig ist dabei: Alle Lehrkräfte müssen an einem Strang ziehen. Sonst fühlen sich einzelne im Stich gelassen. Es sollten deshalb Interventionsregeln aufgestellt werden, die auch allen bekannt sind. Diese Regeln müssen für alle gelten, für Lehrer und Lehrerinnen und Schüler und Schülerinnen.
2. Lernkultur entwickeln
Lernkultur heißt schülerorientierter Unterricht, erkennbarer Lebensweltbezug, förderndes Lehrerengagement, didaktisch-methodische Phantasie, individualisierte Lernzugänge und Lernformen sowie eine Vielzahl von Lernorten und Lernumgebungen. Es zeigt sich, dass fehlende Förderanstrengungen (Förderunterricht) der Schule und der einzelnen Lehrkräfte ein wichtiger Faktor für das Aufkommen hausgemachter Schülergewalt ist. Schulgröße und Klassengröße haben demgegenüber keinen Einfluss auf Gewaltvorkommen.
3. Sozialklima verbessern
Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen dem Sozialklima der Schule und Gewalthandlungen von Schülern. Problematisch ist die fehlende Bindung der Schüler an Lerngruppen und ein fehlender Gruppenzusammenhalt bei gleichzeitig konkurrenzorientiertem Klima. Positiv wirkt sich aus, wenn Schüler und Lehrer gut miteinander auskommen, wenn Schüler von Lehrern ernst genommen werden, wenn Akzeptanz und Wertschätzung das Lehrerverhalten bestimmen. Es geht folglich darum, die sozialen Bindungen zu stärken, stabile Schülerfreundschaften zu entwickeln, das Gefühl zu vermitteln, mit den eigenen Eigenarten auch akzeptiert zu sein. Restriktives Erziehungsverhalten, rigide Regelanwendungen und Disziplinierung begünstigen ein gewaltförderndes Sozialklima.
4. Etikettierungen vermeiden
Der Prozess der sozialen Etikettierungen (also der Zuschreibung von negativen oder positiven Eigenschaften) erweist sich als äußerst gewaltfördernd. Schüler, die in der Schulöffentlichkeit gebranntmarkt werden oder stigmatisierte Außenseiterpositionen einnehmen, sind deutlich gewalttätiger als andere. Sie entsprechen sozusagen den an sie herangetragenen Erwartungen.
Wer als gewalttätig und aggressiv eingestuft wird, wird sich auch so verhalten. Auch umgekehrt funktioniert dieser Mechanismus. Ernstgemeinte und formulierte Überzeugungen wie, „Wir sind eine tolerante und weltoffene Schule“ oder „Du bist doch ein hilfsbereiter Junge ...“ haben langfristig positive Effekte, da sie an das Selbstwertgefühl appellieren und dieses durch Identifikationsangebote mit entwickeln. Da Etikettierungen eine Eigendynamik entwickeln muss mit sozialen Normierungenäußerst vorsichtig umgegangen werden. Besonders betroffen von negativen Etikettierungen ist die kleine Gruppe (von 5-7 %) der Mehrfach- oder Dauertäter, die das (Schul-)Klima oft stark bestimmen.
Diese Gruppe trägt ihre Probleme mit in den Schulalltag hinein. Diese Gruppen haben subjektiv oft das Gefühl, immer als Sündenbock herhalten zu müssen. („Auch wenn ich nichts ausgefressen habe, bin ich immer gleich im Verdacht, ich glaube, die haben mich alle auf dem Kieker.”)
5. Schulhof- und Schulgebäude-Gestaltung
Wenn Schüler und Schülerinnen oft in viel zu kleinen Räumen ohne entsprechende Bewegungsmöglichkeiten sitzen müssen, sollten diese Räume wenigstens so ansprechend wie möglich gestaltet werden.„Manchmal hilft schon ein bisschen Farbe“, ist dabei die Erkenntnis vieler Betroffener. Eine Schule muss über eine angenehme Atmosphäre verfügen. Hierzu gehören auch attraktive und gegliederte Schulgelände und der Rückbau von asphaltierten Flächen in Spiel-Landschaften und Schulgärten. Damit zu verbinden ist eine aktive Pausengestaltung, wie sie in verschiedenen Schulen angewandt wird (Spielangebote in Zusammenarbeit mit Sportvereinen sind hier wegweisende Projekte ebenso wie versetzte Pausenzeiten). Diese Phänomene wirken sich äußerst positiv auf das Verhalten von Schülern aus.
6. Über den Unterricht hinaus: Kooperation im Stadtteil / in der Kommune
Gewaltpotential wird auch aus anderen Zusammenhängen in die Schule importiert. Insbesondere Gewalt, die von harten Cliquen ausgeht, oder auch Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen, die sie in ihrer Familie machen müssen. Um dies in den Griff zu bekommen ist eine Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Familien- und Jugendhilfe, aber auch mit den Vereinen notwendig. Stadtteilkonferenzen, Runde-Tische oder auch die Erarbeitung eines kommunalen Präventionskonzeptes sind hier Ansatzpunkte. Die Öffnung der Schule und Einbindung in das soziale Gemeinwesen sowie die Beteiligung und Übernahme von Verantwortung in diesem Bereich haben sich als außerordentlich positiv im Sinne einer Gewaltprävention ausgewirkt. Außerschulische Lernorte, Integration von Personen und Vereinen in die Schule, Praktika von Schülerinnen und Schülern in sozialen Einrichtungen (Kindergärten, Altenheimen, Behinderteneinrichtungen usw.) sind hierfür Stichworte.Über den Unterricht hinaus können Arbeitsgemeinschaften, Musik, Theater, Zirkus, Medien, Sport und kreative Gestaltungsmöglichkeiten Kindern und Jugendlichen interessante Betätigungsfelder erschließen. (Diese Ansatzpunkte sind auch im Zusammenhang mit der – langsam – beginnenden Diskussion um die Etablierung von Ganztagsschulen zu sehen.)
7. Prävention als Entwicklung von Schulkultur
Schule muss so gestaltet werden, dass die Risikofaktoren für Gewaltverhalten an Einfluss verlieren. Die Entwicklung einer schülerorientierten Lernkultur und eines Sozialklimas, das Ausgrenzung vermeidet, sind hier wichtige Instrumente.
In der Praxis zeigt sich, dass es weniger die Einzelmaßnahmen zur Gewaltprävention sind, um die es geht, – so wichtig sie sind – als vielmehr um die Herausbildung eines Schulethos („Wir verhalten uns an unserer Schule so ...“). Schulethos ist etwas anderes als ein verordneter Verhaltenskatalog. Schulethos ist ein von allen getragene Überzeugung und Einstellung, wie die Schule sein soll und was die Voraussetzungen des Zusammenlebens sind. Diese Überzeugungen können auch schriftlich formuliert werden. Die Fragen, die sich hier stellen, heißen: „Was ist eine gute Schule?“ und „Wo wollen wir uns als gesamte Schule hinentwickeln?“, „Wie können wir eine tolerante, weltoffene Schule werden, die den Namen ‚Haus des Lernens‘ verdient?“ Eine gute Schule wird wesentlich durch die Lernkultur, die fachliche und didaktische Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer sowie ihre Integrations- und Kommunikationsfähigkeit defi niert. Aber es gehören auch Faktoren dazu wie Partizipationsmöglichkeiten der Schüler am Schulleben, die Schülerorientierung der Lehrkräfte, sowie attraktive räumliche Gegebenheiten.
Die entscheidende Frage für die Schule lautet: Wie kann man von Einzelmaßnahmen zu einem Gesamtkonzept kommen, das in sich schlüssig ist und die verschiedenen Bereiche der Prävention abdeckt?
Schulqualität
Fachliche Qualität
- guter Unterricht
- interessierte und fachlich kompetente Lehrerinnen und Lehrer
- Schülerorientierung
Soziale Qualität
- gutes Klassenklima
- individualisierte Lehrer-Schüler- Beziehungen
- soziale Lernqualität
- soziale Unterstützung und Förderung
- unterstützende Schüler-Schüler- Beziehungen
- vielseitige Freizeitangebote
demokratische Beteiligung
gegenseitige Akzeptanz und wertschätzende Beziehungen
Selbstwirksamkeit
Optimismus Selbstwert
Interventionsstrategien gegen Gewalt und politischen Extremismus unter Jugendlichen müssen auch Bemühungen um eine Verbesserung der sozialen Schulqualität und der Schulzufriedenheit von Jugendlichen einschließen. Lebensnahe Lerninhalte, eine am individuellen Leistungsvermögen der Schüler orientierte differenzierte Unterrichtsgestaltung sowie eine umfassende Demokratisierung der Schule durch die aktive Einbeziehung der Schülerschaft bei der Gestaltung des Unterrichts und in allen Bereichen des schulischen Lebens sind zugleich die wichtigsten Aufgaben bei der Schulentwickung wie auch die zentrale Präventionsstrategie gegen Jugenddelinquenz.
D. Sturzbecher / M. Hess: Soziale Schulqualität aus Schülersicht. In. D. Sturzbecher (Hrsg.): Jugendtrends in Ostdeutschland: Bildung, Freizeit, Politik, Risiken. Opladen, Leske + Budrich 2002, S. 155-181.
Gewaltprävention in der Schule wird in der wissenschaftlichen Diskussion zunehmend in Kombination mit bzw. als Teil von Schulentwicklung verstanden. Dies macht Sinn, wenn man Gewalt in der Schule nicht als individuelles Fehlverhalten begreift, sondern die Institution Schule mit in die Verantwortung einbezieht. Ziel von Schulentwicklungsprozessen ist die planmäßige Veränderung und Weiterentwicklung von Unterricht und Erziehung durch die Eigeninitiative der Mitglieder der Institution Schule. Als Handlungsfelder innerer Schulentwicklung werden vom Kultusministerium in Baden-Württemberg gesehen:
- Innovative Unterrichts- und Erziehungsformen unter Berücksichtigung sozialen Lernens.
- Verbesserung der Kommunikation in der Schule.
- Verstärkte Zusammenarbeit von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern.
- Öffnung der Schule.
Maßnahmen der Gewaltprävention werden so in ein umfassendes Konzept von Schule integriert, bei dem Schülerinnen und Schüler beteiligt werden. Auf die Bedeutung der Entwicklung einer Schulkultur wurde bereits oben hingewiesen.
Was bei der Einführung von Gewaltprävention auch zu beachten ist:
- Sinn vermitteln.
- Bedeutungszuweisung: Jede und jeder sollte wissen, was Gewaltprävention für sie und ihn konkret bedeutet.
- Kompetenz: Vorhaben und Maßnahmen der Gewaltprävention knüpfen an wissenschaftliche Ergebnisse an und müssen unter dem Aspekt der Wirksamkeit betrachet werden.
- Öffnung der Schule: Die eingeschlagene Entwicklung und Veränderung der Schule bringt mehr Offenheit mit sich.
- Networking: Da Gewaltprävention nicht isoliert für einzelne Klassen oder einzelne Einrichtungen zu erreichen ist, kann sie nur in gemeinsamen Kooperationsprojekten realisiert werden.
- Gemeinsamer Nutzen: Alle, die sich beteiligen, müssen das Gefühl haben, davon zu profitieren.
Literatur
Gugel, Günther: Gewalt und Gewaltprävention. Grundfragen, Grundlagen, Ansätze und Handlungsfelder. Tübingen 2006.
Hurrelmann, Klaus / Heidrun Bründel: Gewalt an Schulen. Pädagogische Antworten auf eine soziale Krise. Weinheim und Basel. 2007.
Melzer, Wolfgang / Hans-Dieter Schwind (Hrsg.): Gewaltprävention in der Schule. Grundlagen – Praxismodelle – Perspektiven. Baden-Baden 2004.
Philipp, Elmar / Helmolt Rademacher: Konfl iktmanagement im Kollegium. Weinheim und Basel 2002.