Unterrichtsstörungen sind nur auf den ersten Blick ein „Schülerproblem“. Aufmerksamkeit im Unterricht – so eine Reihe von Untersuchungen – hängt eindeutig von der Lehrkraft ab. Die Größe der Klasse und die Geschlechterverteilung spielen – entgegen landläufigen Ansichten – keine Rolle.
Prävention statt Intervention
„Disziplin“ erfordert nicht „Disziplinierung“ oder gar autoritäres Verhalten. Forschungsergebnisse zeigen, dass Lehrkräfte, die in ihrer Klassenführung primär eine gute Lernumwelt herzustellen versuchen erfolgreicher sind als diejenigen, die durch „hartes Durchgreifen“ Ordnung schaffen wollen. Für eine niedrige Störungsrate und gute Mitarbeit ist entscheidend, was „vor“ potentiellen Störungen geschieht, auf welche Weise man also verhindert, dass sie überhaupt auftreten. Auf die Prävention kommt es an, nicht auf die Intervention.
Präsenz zeigen
Sehr bedeutsam ist ein Lehrerverhalten, das mit „Präsenz“ charakterisiert werden kann. Damit sind Lehrkräfte gemeint, die so im Klassenraum stehen, dass sie alles gut überblicken können, sie bewegen sich gelegentlich durch die Reihen, lassen öfter den Blick schweifen, bewahren auch an der Tafel den Blickkontakt zur Klasse usw. Auf gerade entstehende Störungen reagieren sie frühzeitig und ersticken sie somit im Keim, ehe sie sich ausbreiten. Dazu reichen dann aber meist kleine Stoppsignale wie etwa direktes Anblicken, eine bremsende Handbewegung, zwei Schritte in Richtung Unruheherd oder auch eine knappe Aufforderung. Demgegenüber entstehen hohe Störungsraten teilweise dadurch, dass erst dann reagiert wird, wenn eine Störung sich bereits von einem auf andere Schüler ausgebreitet oder in der Lautstärke gesteigert hat. Um Präsenz zeigen zu können, muss die Lehrkraft ihre Aufmerksamkeit teilen
und zwei Dinge gleichzeitig tun, z.B. etwas erklären und gleichzeitig zeigen, dass ein Nebengespräch bemerkt wurde.
Unterbrechnungen vermeiden
Ein wichtiges Prinzip der Störungsprävention ist, Unterbrechungen des Unterrichts so weit wie möglich zu vermeiden. Ein zügig fließender Unterricht nutzt die Lernzeit gut aus und erschwert zugleich das Auftreten von Störungen. Denn alles, was von den Schülern als Wartezeit empfunden wird, kann Unruhe fördern. (z.B. Aufbauen von Geräten, Austeilen von Materialien ...)
Lehrer mit Disziplinproblemen neigen dazu, bei auftretenden Störungen vor der Klasse über die Störung zu sprechen. Lehrer mit wenig Disziplinproblemen lenken so schnell wie möglich zur Lernaktivität zurück („Schau an die Tafel“).
Der Unterrichtsfluss ist so für die Prävention von Unterrichtsstörungen von Bedeutung.
Kollektive Aktivierung
Für einen Unterricht mit wenig Störungen und guter Mitarbeit ist typisch, dass es der Lehrkraft gelingt, die ganze Klasse zu aktivieren, also auch die Aufmerksamkeit jener aufrechtzuerhalten, die im Moment nicht „dran“ sind und in private Beschäftigungen abgleiten könnten. Interessante Inhalte, anregende Lehrmethoden, ein lebendiger Vortragsstil und eine deutliche Stimme erleichtern die Aufmerksamkeit Eine breite Mobilisierung wird auch gefördert durch wandernde Blicke bei einer Lehrerfrage, durch gut verteiltes Aufrufen oder durch häufige kleine Leistungskontrollen.
Unterrichtsplanung
Störungsprävention beginnt bei der Unterrichtsplanung. Das gilt nicht nur für Aufgaben und Methoden zur Aktivierung der ganzen Klasse. Vorbereiten kann man auch glatte Übergänge zwischen zwei Phasen oder die
Minimierung organisatorischer Unterbrechungen. Zur guten Vorbereitung gehört auch die Gestaltung des Klassenraums. Alle Bereiche sollen gut überschaubar, alle Materialien leicht verfügbar und alle Geräte voll einsatzfähig sein.
Regeln
Die Einführung von Regeln für das soziale Verhalten und für die Erledigung routinemäßiger Anforderungen ist sinnvoll. Diese sollten bereits zu Beginn des Schuljahres eingeführt und mit den anderen Lehrkräften abgestimmt sein. Diese Regeln sollen von allen ernst genommen und eingehalten werden. Dies fällt den Schülern leichter, wenn sie an der Formulierung und Einführung beteiligt sind und die Regeln auch überprüft und diskutiert werden.
Belohnung
Gutes Verhalten muss sich lohnen. Der Lohn kann nicht nur in Sternchen und Belobigungen bestehen, sondern z.B. auch in verminderten Hausaufgaben, einem attraktiven Spiel am Ende der Stunde oder einem kleinen
Fest am Ende der Woche. Positive Anreize für positives Verhalten wirken zuweilen wie ein Zauberstab und haben überdies den Vorteil, dass sie, im Unterschied zu Bestrafungen, das Klassenklima und die Lehrer-Schüler- Beziehung schonen.
Hans-Peter Nolting: Prävention von Unterrichtsstörungen. Unauffällige Einfl ussnahmen können viel bewirken. In: Pädagogik, 11/2006, S. 10 ff., Auszüge.