Der gekonnte Umgang mit eigenen und fremden Emotionen ist ein Schutzfaktor für das Individuum selbst, wie für seine Sozialgruppe. Deshalb ist die sozial-kognitive Informationsverarbeitung ein spannendes Arbeitsgebiet der Präventionsforscher geworden.
Emotion und Kognition
Eine effektive soziale Informationsverarbeitung, die ganz wesentlich auf Empathie beruht, ist ein Element sozialer Kompetenz. Es gibt keine emotionsfreie Informationsverarbeitung. Emotionsregulation ist an allen Prozessen der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung beteiligt.
Empathie wird gelernt
Erst seit wenigen Jahren wissen wir,
- dass Einfühlungsvermögen oder Empathie – anders als die angeborene Gefühlsansteckung – eine gedankliche Leistung ist, die eine differenzierte Erkenntnisfähigkeit voraussetzt: Das Kind muss ein Konzept seiner selbst entwickelt haben, bevor es den anderen Menschen als ein selbstständiges Wesen erfassen kann, dessen Erleben mit dem eigenen Erleben vergleichbar ist.
- dass Empathie einer entsprechenden Sozialisationserfahrung bedarf, Empathie also am eigenen Leib erlebt werden muss, um selbst einfühlsam sein zu können. Werden hilfesuchende oder freudige Appelle eines Kindes von seinen Bezugspersonen nicht bemerkt, nicht berücksichtigt oder gar bestraft, lernt das Kind, diese Gefühlsäußerungen zu unterdrücken, und es wird sie auch bei anderen Menschen nicht mehr bemerken und nicht darauf reagieren.
Kommen zur Empathie noch Gefühle der Sorge um diesen Menschen und willentliche Aktionen, um dessen Leiden zu verringern, sprechen wir von Mitgefühl. Oft wirkt die Hilfe noch unangemessen, da das Sich-Hineinversetzen in den anderen eben noch nicht perfekt klappt. Was noch fehlt, ist die emotionale Perspektivenübernahme, die Fähigkeit, die Gefühle anderer gedanklich zu erschließen. Das ist eine Entwicklungsstufe, die dann etwa mit vier Jahren erreicht wird.
Ein Kind kann erst dann verlegen, neidisch oder mitleidend sein, wenn es Selbstbewusstsein entwickelt hat. Erst ab dem Alter von etwa 4 1/2 Jahren kann ein Kind bewusst lügen. Denn die wichtigste Voraussetzung hierfür ist die Fähigkeit, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Denn erst, wenn man verstanden hat, dass ein anderer Mensch etwas anderes bzw. weniger über eine Sache wissen kann als man selbst, kann man ihn auch bewusst hinters Licht führen. Und um zu begreifen, dass es einem mitunter kurzfristig etwas bringen kann, genau dies zu tun, braucht manÜbung und Vorbilder.
Voraussetzungen emotionaler Kommunikation
Zu den Voraussetzungen einer erfolgreichen emotionalen Kommunikation, die sich im Laufe der ersten Lebensjahre entwickelt, gehört neben der eigenen nonverbalen Ausdrucksfähigkeit das Erkennen der nonverbalen Signale der Anderen, die Fähigkeit eigene Gefühle zu verbalisieren, das Verständnis der Bedeutung von Gefühlen und nicht zuletzt die zunehmende Fähigkeit, die eigenen Gefühle regulieren zu können und ihnen nicht mehr hilflos ausgeliefert zu sein. Emotionale Kompetenz in diesem Sinne zu erreichen, ist eine der bedeutendsten kindlichen Entwicklungsaufgaben. Empathiefähigkeit hilft, Bindungen und Vertrauen zu stiften und zu festigen, Mitmenschen besser einzuschätzen und gemeinsame Aktivitäten zu synchronisieren. Ein freundschaftliches Sozialverhalten entsteht, das Raum für Aggression lässt, aber Gewalt verhindert. Durch das Miterleben der Gefühle anderer Personen wird der emotionale Wissenskatalog der Kinder immer größer. Im Laufe der Jahre bilden sie emotionale Schemata für die verschiedenen Gefühle aus. Diese Schemata umfassen neben dem Wissen über mimische und gestische Signale, die Kenntnis weiterer sozialer Hinweisreize, die es ihnen erlauben, Emotionen und ihre Ursachen zu erkennen.
Nach: Gabriele Haug-Schnabel: Starke und einfühlsame Kinder – Die Bedeutung von Empathie als Schutzfaktor. Fühl Mal. Psychosozialer Dienst Karlsruhe, 14.7.2005. http://www.verhaltensbiologie.com
Kein Allheilmittel
Emotionale Intelligenz ist kein Allheilmittel für menschliche Probleme, sie kann sich sowohl positiv als auch negativ auswirken. Wer nur die entsprechenden emotionalen Fähigkeiten antrainiert, ohne die dahinterliegende Motivationen und Absichten zu kennen und zu berücksichtigen, führt das Konzept ad absurdum.
Psychologie heute, Juni 2006, S. 9.
Kinder wollen von ihren Eltern und Erziehern wissen:
- Nehmen sie mich wahr?
- Achten sie auf meine Signale?
- Ist es ihnen wichtig, meine Bedürfnisse zu befriedigen?
Gabriele Haug-Schnabel